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Robert Enke ist tot
Verfasst: 10.11.2009, 22:03
von Locura
Re: Robert Enke ist tot
Verfasst: 16.11.2009, 13:33
von Ulli
Hallo!
Schlimm finde ich, dass ihm quasi nachträglich mehr Aufmerksamkeit zugemessen wird- ein für mich völlig falsches Signal z.B an Jugendliche..
Denn es gibt immer einen anderen Weg- Suizid ist für mich Egoismus. In diesem Fall sogar ganz besonders- denn er verlässt einfach Frau und Kind und bürdet einem völlig Unbeteiligten , dem Lokführer, eine lebenslange Last auf.
Ich gehe davon aus, dass die meisten Erwachsenen schon den Punkt hatten, an dem die beste Wellnessbehandlung der Strick um den Hals zu sein scheint- aber die allermeisten kämpfen weiter.
Wenn nun jemand dafür, dass er aufgegeben hat, soviel Aufmerksamkeit bekommt- wieviel Jugendliche werden dann glauben, das sei doch eine tolle Möglichkeit, den Schwierigkeiten zu entfliehen?
Musste jetzt einfach was dazu schreiben.. geht mir seit der Nachricht im Kopf rum und wird mit jeder Meldung stärker.
LG Ulli
Re: Robert Enke ist tot
Verfasst: 16.11.2009, 13:58
von Der Hirte
Ulli hat geschrieben:Wenn nun jemand dafür, dass er aufgegeben hat, soviel Aufmerksamkeit bekommt- wieviel Jugendliche werden dann glauben, das sei doch eine tolle Möglichkeit, den Schwierigkeiten zu entfliehen?
Da ist einiges dran. Vor allem wenn man die ständigen Bestrebungen der Massenmedien sieht, alle möglichen Perversionen mit möglichst viel Getöns nicht nur als das eigentlich Normale, sondern geradezu als erwünschenswerten Idealfall darzustellen.
Grüße aus Portugal!
Richard
Re: Robert Enke ist tot
Verfasst: 16.11.2009, 18:06
von Susi Sorglos
Mein Sohn leidet seit Januar d. J. an Depressionen. Er war bis Juli in der Psychiatrie, auch in der geschlossenen, da akute Suizidgefahr nach 3 Suizidversuchen bestand.
Durch meinen Sohn weiß ich ansatzweise, dass diese Leute die Hölle im Kopf haben. Es ist rational für "normal" denkende Menschen nicht nachvollziehbar. Er saß teilweise 1 Stunde auf seinem Bett und hat seinen Kopf gegen die Wand geschlagen, nur um diese Gedanken, die sich ständig irgenwie im Kreis bewegen und keinen Ausweg finden lassen, verschwinden. Er sagte, sein Kopf spiele ihm die Selbstmordgedanken ständig in den Kopf, er sehe nur noch, dass er dann erlöst sei, nicht mehr diese Hölle im Kopf hätte, endlich friedlich im Sarg liegen könne. Seit Juli ist er bei uns zu Hause und langsam, ganz langsam wird es besser. Ob er irgendwann weiterstudieren kann steht in den Sternen. Auf keinen Fall kann er jemals mehr einen stressigen Job ausüben.
Er sagt auch, dass alles was einem von den Medien suggeriert wird, also jung sein, gut aussehen, toll angezogen sein, ständig auf Partys gehen, schickes Auto fahren, schnell in Urlaub jetten, in allen so drin ist, dass die meisten nur danach streben so zu sein und wenn sie es nicht sein können, aus welchen Gründen auch immer, dann glauben, dass sie Versager sind.
Wenn Herr Enke ähnliches durchmachte wie mein Sohn, teilweise wahrscheinlich sogar noch schlimmer, dann war er einfach so verzweifelt, dass er nicht mehr an Frau, Kind, Lokführer usw. dachte. Er wollte nur noch "erlöst" werden, nur noch Frieden haben.
Susi S.
Re: Robert Enke ist tot
Verfasst: 16.11.2009, 19:16
von Uzou
Hallo,
und einfach danke Susi, Depressionen sind eine ernstzunehmende Erkrankung, gegen die man sich nicht wehren kann, und die so dramatisch verläuft. Leider verwechseln viele diese Erkrankung mit Melancholie und "feeling blue" weil man mal so schnell daherredet, dass man sich depressiv fühlt. Das alles hat mit Depressionen nicht das geringste zu tun, und Susi wird es mir bestätigen: Das ist kein Spass an so etwas erkrankt zu sein! Ich wünsche das meinem ärgsten Feind nicht. Das ist wirklich die Hölle auf Erden. Meist wissen das nur Betroffene oder Angehörige, weil sie hautnah mitbekommen, was da abläuft. Bitte denkt nach, was Ihr das sagt! Stirnrunzelnde Marion
Re: Robert Enke ist tot
Verfasst: 16.11.2009, 19:42
von Zieglinde
Hallo,
was Susi geschrieben hat, läßt mich schon nachdenken.
Trotzdem muß ich auch an den Lokführer denken. Ist der noch in der Lage, einen Zug zu fahren? Kann er jetzt noch Frau und Kinder ernähren oder wird er jetzt arbeitsunfähig nach dem Schock? Wie gehts dem eigentlich? Sammelt Hannover nach dem gestern nun erfolgten Abschied von Enke für den Lokführer bzw. seiner Familie?
Fragende Grüße
Silke
Re: Robert Enke ist tot
Verfasst: 16.11.2009, 20:10
von Alraune
Hi,
ich muss zugeben, dass mir der ganze Aufriss um Enkes Freitod auch auf den Zwirn ging! Aber mittlerweile sehe ich es etwas anders. Natürlich kann man ihm nachsagen, er sei egoistisch gewesen, aber das würde bedeuten, dass er in der Lage gewesen ist, die Situation richtig einzuschätzen. Das war er auf Grund seiner Erkrankung sicher nicht! Es mag sogar sein, dass er der Meinung war, es ist für seine Familie besser, wenn er ihnen nicht weiter zur Last fällt. Nicht ganz untypisch bei manchen Erkrankungsbildern. Jemand, der sich nie mit dem Thema Depressionen auseinandersetzen musste wird das schwer verstehen können!
Vielleicht ist der Medienrummel auch nicht so schlecht, denn depressive Erkrankungen sind für viele ja immer noch nicht "gesellschaftsfähig". Die Menschen schämen sich ja meist, dass sie psychisch krank sind. Wenn aber gezeigt wird, dass so etwas jedem wiederfahren kann, vielleicht ändert sich irgendwann etwas an der Akzeptanz!?!?
Von einer Freundin der Schwiegervater hat sich vor ein paar Wochen das Leben genommen, wir wissen, das er krank war. Leider ist es oft auch sehr schwer zu helfen, besonders, wenn jemand nicht mehr wahrnimmt, dass er Hilfe braucht. Schlimm finde ich jetzt, dass es jetzt von außen heißt, sein Sohn sei sicher nicht ganz unschuldig daran, dass er sich erhängt hat. Niemand redet davon, dass er psychisch krank war. Besser dem Sohn und der Schwiegertochter die Schuld geben, als das Wort Depression in den Mund zu nehmen - sowas gibt´s bei uns auf dem Land sowieso nicht! Das ergibt nun für die Familie eine doppelte Belastung. Schöne Scheiße!
LG Birgit
Re: Robert Enke ist tot
Verfasst: 16.11.2009, 20:23
von Bolivar
Hallo,
ich meine man kann auch an den Lokführer denken ohne jemandem Vorwürfe zu machen, der kein Signal senden oder vor Schwierigkeiten weglaufen wollte, sondern einfach dermassen verzweifelt war, das er seinem Leben ein Ende gesetzt hat.
Und ich denke für den Lokführer kann es momentan nur gut sein, nicht im Rampenlicht der Medien zu stehen.Das man nicht viel hört oder liest verstehe ich nicht als Zeichen das man ihm nicht hilft.Es wirbt nur keiner damit.Viele Helfer wirken im Stillen #daumen_hoch* .
Und es gibt genug Jugendliche die aus Langeweile und der Suche nach dem nächstgrösseren Kick U-Bahn-Surfen betreiben ganz ohne Vorbilder.In der Pfalz kam ein 16-jähriges Mädchen ums Leben, das nicht verzweifelt war, sondern einfach ihr Rad über den Bahnübergang schob ohne auf die geschlossene Halbschranke, das rote Licht und das Signal des Zuges zu achten.....Es ist gang und gäbe das Jugendliche und Erwachsene an Bahnhöfen über die Gleise abkürzen.Auch das sind keine verzweifelten Menschen die aufgrund eines prominenten Vorbilds in den Tod gehen.Sie sind schlicht leichtsinnig.
Robert Enke ist tot.Wir leben noch.Und sollten lernen und nicht richten.
Gruss Michael
Re: Robert Enke ist tot
Verfasst: 16.11.2009, 21:10
von Der Hirte
Eine Depression gehört sicher zu den schlimmsten Dingen, die einen Menschen befallen können. Bei anderen Krankheiten ist es dem Leidenden zumindest meist möglich, dagegen mit einer Willensanstrengung anzukämpfen. Genau das ist dem Depressiven völlig unmöglich, weil seine Gedanken selber die Ursache der Qualen sind, die er durchmacht - und er kann das nicht abstellen, sie bedrängen ihn und martern ihn unaufhörlich. Es ist die Hölle!
Aber es ist bezeichnend für den Zustand einer deshalb durchaus als dekadent zu betrachtenden Gesellschaft, wenn selbst die Trauer und das Unfaßbare zum "Event", zur Massenveranstaltung und zum Medienrummel degradiert werden. Hier kommt etwas zum Ausdruck, was eine schwere Erkrankung der ganzen Bevölkerung darstellt: Die Unfähigkeit zur Trauer; die Unfähigkeit zu echten und tiefen Gefühlen. Trauer ist etwas sehr persönliches, das man in dem Maß empfindet, wie man einem verstorbenen Menschen nahegestanden war. Die 45.000 im Hannoveraner Fußballstadion - das nicht einmal mehr Niedersachsenstadion heißt, sondern perfekt zur Kommerzschau passend nach einem Finanzvertrieb benannt ist: "AWD-Arena" - waren eben nicht dort, um zu trauern, sondern aus Sensationslust. Sie wollten bei einem Spektakel dabeisein. Der Abschied von Enke wird als Rummel regelrecht "konsumiert" - wie, um ein anderes Beispiel zu nennen, das deutsche Weihnachtsfest aus vergleichbaren Gründen längst seiner ureigenen Seele beraubt ist.
Was könnte die schamlose Vermarktung und Verramschung des tragischen Schicksals Robert Enkes besser zum Ausdruck bringen als eine Meldung von "Focus": "Knapp sieben Millionen Menschen haben am Sonntag die Trauerfeier für Nationaltorwart Robert Enke verfolgt. Im Abendprogramm lockte der `Tatort´ die meisten Zuschauer vor den Fernseher. - Der Abschied von Nationaltorwart Robert Enke löste beim Fernsehpublikum am Sonntagvormittag eine große Anteilnahme aus: 5,35 Millionen Menschen (Marktanteil: 37,9 Prozent)..."
Alles in allem wird der schrecklich sentimentale Kitsch, der da multimedial veranstaltet wurde, kein bißchen dazu beitragen, die Problematik der leider fast schon zur Volkskrankheit gewordenen Depression in ihrer Tragweite für den Erkrankten wie für dessen Angehörige ins Bewußtsein der Menschen zu rücken. Im Gegenteil, hier wird trivialisiert und banalisiert auf einem Niveau, das einen nur noch den Kopf schütteln läßt. Man braucht kein Psychiater sein, um zu erkennen, daß das durch und durch verlogene Theater, welches um Enke veranstaltet wurde - der sich ja nicht dagegen wehren konnte - der größte Bärendienst ist, den man depressiv erkrankten Menschen antun hätte können.
Grüße aus Portugal!
Richard
Re: Robert Enke ist tot
Verfasst: 16.11.2009, 23:08
von Anonymous
Enke konnte sich nicht wehren,aber seine Frau und die Angehörigen,hätten diese Massenveranstaltung unterbinden können,es kann mich als Angehöriger niemand zwingen dieses Spektakel zu zu lassen.
Eben weil er angeblich (ich habe Ihn nicht gekannt) so ein zurückhaltender Mensch war,hätte ich als Frau dazu nicht meine Einwilligung gegeben.