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Schwache Lämmer - Selenmangel ?!?!?
Verfasst: 18.03.2007, 16:33
von Peter34466
Nach der Geburt zunächst kräftige und fitte Lämmer beginnen nach 2 bis 10 Tagen zu schwächeln – zunächst unsicherer Gang - dann wegknicken in den Vorderbeinen – Saugschwäche – Festliegen – Verlust des Saugreflexes bei Erhaltung des Schluckreflexes – Körperspannung weg – kalte Beine – die meisten ohne Fieber – Apathie – Koma –Tod .....
So oder ähnlich hören sich viele Verlaufsschilderungen hier im Forum an – die meisten (Fern) Diagnosen ähnneln sich auch: Selenmangel – schnell handeln – Vitamin E - Selen spritzen und alles kann gut werden......
Ich vermute das meistens nichts gut wird und die Mortalität gegen 100% geht!
Dieses Phänomen ist im englischen Sprachraum (USA) seit Mitte der achtziger Jahre als ‚Floppy Kid Syndrome’ (wörtlich übersetzt: schlaffe Zicklein Syndrom) bekannt.
Es handelt sich hierbei um eine D-Lactad Azidose – zu deutsch- Übersäuerung des Verdaungstraktes und damit verbunden Übersäuerung des Blutes mit den o.a. Folgen.
Die Ursachen sind weitgehend unbekannt aber die Therapie bringts:
Total platte Lämmer sofort mit Natriumhydrogencarbonat infusieren (hat der Tierarzt oder die Apotheke) und in der Folge drei bis vier mal im 3-Stundenrhythmus 10-20 ml oral eingeben, was bei Lämmern die noch im Anfangsstadium stecken auch ausreicht.
Die Lämmer stehen innerhalb weniger Stunden wieder auf den Beinen – nach weniger als 24 Stunden ist der Spuk vorbei und kommt wohl auch nicht wieder.
Das Zaubermittel ist übrigens unser gutes altes Natron, es normalisiert alle Ph-Werte innerhalb kürzester Zeit!
Rettet Eure Lämmer! Gruß Peter
Verfasst: 19.03.2007, 14:02
von Werner
Hallo Peter,
beim Säugling geht man von noch nicht ausreichender Lactat Stoffwechselleistung der Leber aus. Ansonsten entsteht es ja auch noch bei Muskelarbeit unter Sauerstoffmangel. Jetzt mal alles beim Menschen.
Beim Menschen wird über Blutproben getestet. Würde beim Kitz eine Standard Dosis genommen? Oder vorher getestet?
Gruß
Werner
Verfasst: 19.03.2007, 15:26
von Peter34466
Hallo Werner!
Das ist wohl beim Ziegenlamm genauso wie beim Menschlein, die kommen wohl in diesem Alter nocht nicht mit D-Lactat zurecht. Im Stall konnten keine Blutgaswerte gemessen werden (Außentemperatur zu tief) und zum verbringen war keine Zeit weil handeln angesagt war (5 Lämmer komatös).
Die wurden dann sofort infusiert - mit dem geschilderten Erfolg.
Leider hatten wir nach der ersten Ablammphase (Januar/Februar 34 Lämmer ohne nennenswerte Probleme) aus der zweiten Ablammphase (ab Anfang März) bereits 15 von 22 verloren bevor wir über das 'Floppy Kid Syndrom' gestolpert sind.
Warum sich D-Lactat gebildet hat ist einfach unbekannt - ist mir aber auch zunächstmal egal wenn ich weiss was ich gegen den dramatischen Verlauf tun kann.
Ich denke, dass die allermeisten Fälle die mit Selenmangel erklärt werden diesem Syndrom zuzurechnen sind und hier bei uns jedes Jahr hunderte oder gar tausende von Lämmern zu Grunde gehen weil sie auf Selenmangel oder Viren behandelt werden.
Die schärfste aller Erklärungen für diesen Krankheitsverlauf habe ich hier im Forum gelesen: Schock durch Ohrmarken schießen! - Wenn das kein Beleg für Hilf- und Ahnungslosigkeit ist...........
Gruß Peter
Verfasst: 19.03.2007, 22:07
von Werner
Hallo Peter,
wenn du dann doch mehrere Ziegen hast , könnte sich das Buches "Diseases of the Goat" von John Matthews rentieren. Leider gibt es dieses sehr gute Buch zu Ziegenkrankheiten nicht in Deutsch, kostete bei Lehmanns 74,95. Für die Praxis ist es weit besser als der Bostedt/Dedie, geht aber nicht so sehr in die Tiefe. Dafür sind genaue Handlungsanweisungen für den Tierarzt und Halter drin. Vom Aufbau ist es wie die "Kitteltaschenbücher" im Humanmedizinbereich gestaltet.
Bei leichten Erscheinungen wird im Buch auch die orale Gabe von Bicarbonat genannt. Geht natürlich nicht beim Koma.
Gruß
Werner
Verfasst: 20.03.2007, 13:54
von sanhestar
Hallo Peter,
Du hast recht, auch auf diese Erkrankung hinzuweisen. Jedoch jedes lebensschwache Lamm nun als Floppy Kid zu betiteln, führt genauso am Ziel vorbei, wie Selenmangel als Ursache gänzlich auszuschliessen.
Jedes Lamm, das unterkühlt oder geschwächt ist, an Selenmangel, Nabelinfektionen, Coli-Infektionen, Breinieren, etc. leidet, wird ab einem gewissen Stadium schwach sein und einen verringerten Muskeltonus mit Verlust des Saugreflexes zeigen.
Es gilt eine saubere Diagnostik zu machen und daher kommt auch oft der dringende Rat, Tierarzt, untersuchen.
Gruss
Verfasst: 20.03.2007, 20:07
von Anonymous
Werner hat geschrieben:
Bei leichten Erscheinungen wird im Buch auch die orale Gabe von Bicarbonat genannt.
Haben wir gestern bei einem Muttertier durchexerziert, das sich den "Magen verdorben hatte" und auf dem Weg zur Pansenazidose (inkl. Ausspucken des Widerkäumaterials) war.
2 Tabletten Bullrichsalz in Tablettenform (= Natriumhydrogencarbonat/Natriumbicarbonat) auf 250 ml Wasser, aufgelöst und rein damit (langhalsige Weinflasche). Das mit den Tabletten hat der Vorteil, dass man nicht in die Gefahr läuft überzudosieren (Verätzungsgefahr) ohne präzise Waage. Und das Zeug gibts in jeder Drogerieabteilung.
Es muss wohl einen alten Nutztierarzt-Spruch geben: "Wenn Du weisst nicht wie, nimm Natrium Bi..."
Was ich auch von meinem TA gelernt habe: bei Verdacht auf Pansenazidose kein Pansenstimulanz verabreichen! Das Zeug wirkt durch das enthaltene Propionat eher noch ansäuernd...und bewirkt dadurch noch das Gegenteil.
HTH,
Michael
Verfasst: 21.03.2007, 07:43
von sanhestar
Hallo,
habe gerade nochmal die Frage von Werner nach der Blutuntersuchung gelesen.
Ja, Floppy Kid Syndrom kann man auch bei Ziegen mittels Blutuntersuchung nachweisen. Typisch für Floppy Kid ist eine sog. paradoxe metabolische Azidose mit einem Mißverhältnis zwischen Kationen (Natrium und Kalium) und Anionen (Chlorid und CO2), Anionen sind erhöht, sowie erniedrigtem HCO3 (Hydrogencarbonat).
Dr. Mary Smith der Cornell Universität in USA schreibt noch dazu, dass man Floppy Kid nicht mit anderen Erkrankungen verwechseln soll, da nach ihrer Erfahrung oftmals zu schnell die Diagnose Floppy Kid gestellt wird (gerade in USA).
Als Halter habe man sich folgende Fragen zu stellen:
- ist das Lamm dehydriert durch Durchfälle? Dehydration kann sich wie Floppy Kid äussern
- war das Lamm nach der Geburt aktiv und gesund? Floppy Kid tritt erst im Alter von 3-10 Tagen auf, Selenmangel zeigt sich schon direkt nach der Geburt (wer einmal Selenmangel-Lämmer gesehen hat, erkennt die - meiner Meinung nach - wirklich schon wenige Stunden nach der Geburt)
- wurde die Mutterziege während der Trächtigkeit angemessen versorgt?
- auch sie verweist auf die mögliche Verwechslung mit Selenmangel.
Differentialdiagnostik:
Floppy Kid:
- schwaches Lamm, unwillig oder unfähig zu stehen (auch bei Selenmangel)
- Bauch aufgebläht, Extremitäten fühlen sich kalt an (aufgeblähter Bauch ist bei Selenmangel nicht zu finden)
- Lamm kann husten oder speicheln (nicht zu finden bei Selenmangel im Anfangsstadium, Husten kann aber bei Lungenentzündung auftreten - hier muss man unterscheiden, ist es ein Lungenhusten oder ein Husten aufgrund der einsetzenden Lähmungen)
- Lämmer können Untertemperatur oder Fieber haben (Fieber ist bei Selenmangel nicht zu finden)
- Tod tritt 24-36 Stunden nach dem Auftreten der ersten Symptome ein
Nicht alle Lämmer zeigen die gesamte Bandbreite der Symptomatik.
Das Verabreichen von Natriumbikarbonat (1/2 Teelöffel) verbessert die Symptome innerhalb von 2 Stunden - also eine gute Möglichkeit der Differentialdiagnose. Bessern sich die Symptome nicht nach Natriumbikarbonat, ist es NICHT Floppy Kid und man muss nach anderen Ursachen suchen.
Gruss
Verfasst: 21.03.2007, 07:52
von Anonymous
sanhestar hat geschrieben:
Das Verabreichen von Natriumbikarbonat (1/2 Teelöffel) verbessert die Symptome innerhalb von 2 Stunden - also eine gute Möglichkeit der Differentialdiagnose.
Gruss
Wobei man mit Natriumbicarbonat aufpassen muss, dass man es nicht zu konzentriert verwendet: 1/2 TL auf wieviel Wasser? Es besteht IMO durchaus Verätzungsgefahr. Sinnvollerweise mal den Finger in die Lösung stecken und selbst ablecken. "Laugiger" Geschmack ist OK, "brennen" darf es nicht!!! Und da sehe ich bei den Kleinen die Gefahr, wieviel Flüssigkeit vertragen die? Man könnte die Lösung sicherlich aber auch über eine Sonde verabreichen, dann dürfte eine höhere Konzentration auch noch gehen, weil ein grosser Teil sicherlich schnell neutralisiert wird.
Michael
Verfasst: 21.03.2007, 08:21
von Mazzu
Hallo Michael
meines Wissens ist Natronbicarbonat (Natronhydrogencarbonat) in keiner noch so hohen Konzentration aetzend. Wird ja auch als Backpulver, Reinigungsmittel und bei Sodbrennen eingesetzt (hier auf jeden Fall). Stark aetzend ist hingegen die Natronlauge (Natriumhydroxid) .....
oder sehe ich das falsch?
Schoene Gruesse
Franco
Verfasst: 21.03.2007, 09:31
von sanhestar
Hallo Michael,
leider werden keine Wassermengen genannt, nur den Hinweis auf KALTES Wasser habe ich noch gefunden.
Gruss