Möchte beginnen, Ziegen zu melken!!!

Lafayette
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Beitrag von Lafayette »

Hallo Bunz,

das ist es, was viele nicht verstehen. Leider muß man dafür in unrühmlichen Zeiten ausholen. Dieses Stützungssystem für die Landwirtschaft stammt tatsächlich aus Bismarcks Zeiten.

Vor mehr als 100 Jahren ernährte ein Bauer rund 10 Personen. Die Ernte war extrem abhängig von der Witterung und Krieg lag unterschwellig immer in der Luft. Da war es wichtig, daß die Landwirtschaft floriert, damit man die Ernährung der Bevölkerung sicherstellen konnte. Das war ja auch die Triebfeder für die Industriealisierung. Also hat man damals in guten Jahren Getreide zu einem guten Garantiepreis seitens des Landes aufgekauft und gelagert, so daß man in schlechten Jahren und Kriesenzeiten genug zu Essen für alle Menschen hatte.
Die Bauern haben sich auf diese sichere Einkommensquelle eingestellt.

Es kam das dritte Reich und dort wurde es ganauso gehandhabt. Der sog. Reichsnährstand hatte Priorität, da Hitler von Anfang an große Kriegspläne hatte. Den Bauern war's recht, es hat ihre Kassen gefüllt.

Nach dem 2. Weltkrieg war der Aufbau des Landes und die Ernährung der Bevölkerung wieder extrem wichtig. Man hat das System beibehalten. War damals ja auch richtig so.

In den 60er Jahren kam der Siegeszug der Pflanzenschutzmittel. Ein Bauer konnte nun schon weit über 100 Menschen mit seinen Produkten ernähren.
Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre hatten wir in Deutschland plötzlich Überschüsse aus der Agrarproduktion. Der Staat hat wie gewohnt aufgekauft, nur hatten wir jetzt eine gewisse Erntesicherheit durch den Pflanzenschutz. Also wohin damit.
Der Staat hat die Überproduktion auf dem Weltmarkt zu extrem niedrigen Preisen wieder verhökert. Das heißt, daß der Staat zweimal draufgelegt hat.

In den 80er Jahren hat sich die Überproduktion extrem zugespitzt. In anderen europäischen Ländern sah es ganauso aus. Wir hatten ja schon die Europäische Wirtschafts Union.
Ist ja auch irgendwie logisch. Wenn man gutes Geld für seine Produkte bekommt, dann produziert man soviel man kann, denn es erhöht ja den Profit!

Dieses Aufkaufen der Produktion durch den Staat und der Verkauf dieser sog. Interventionsbestände auf dem Weltmarkt wurde so extrem teuer, daß man das System mit dem staatlichen Garantiepreis für die Intervention aus volkswirtschaftlichen Gründen aufgeben mußte. Das politische Reizwort zu Beginn der 90er Jahre war die Agenda 2000.

Im Rahmen der Agenda 2000 fiel der Garantiepreis auf ein sehr niedriges Niveau. Es wurden weniger Erzeugnisse interveniert. Zum Ausgleich bekamen die Landwirte eine sog. Flächenprämie, verbunden mit einer staatlich festgelegten Stillegungsauflage. Alles, wie gesagt, um diese sündhaft teure Überproduktion zu verhindern.

Mit dem Beitritt ehemaliger Ostblockstaaten zur EU mußte auch das System der Flächenbeihilfen nochmal überdacht werden, da die neuen Mitglieder überwiegend Agrarländer sind. Um wieder die volkswirtschaftlichen Kosten zu minimieren wurde im Rahmen der GAP Reform die Betriebsprämie eingeführt. Diese Bezieht sich auf die Flächen und ggfs. Rinder in einem Referenzjahr. Das bedeutet, daß nun relativ unabhängig von der Fläche und dem Viehbesatz eine Prämie fließt. Die Preise für Agrarprodukte nähern sich immer mehr dem Weltmarktniveau an.

Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß wir keinesfalls wieder zum Garantiepeis für landwirtschaftliche Produkte zurück können. Es würde alles wieder von vorne beginnen.
Von dem Moment an, wo der Staat in den Markt eingreift gibt es ein Ungleichgewicht!

Die Politiker in Brüssel bemühen sich im Rahmen der GAP-Reform schon darum, das Agrarförderungssystem abzubauen.
Es wird weiterhin einen Strukturwandel geben und vielleicht irgendwann wird es wenige Betriebe geben, die in der Lage sind, auf Weltmarktpreisniveau zu produzieren. Leider haben wir hier in Europa und auch gerade in Deutschland nicht die besten Strukturen dazu.

Einwerfen möchte ich noch, daß andere Länder dieser Welt auch Stützungssysteme für die Landwirtschaft haben. Die USA liegt da auch ziemlich vorne. Der Weltmarktpreis muß sich also auch noch normalisieren.

Soviel für heute.

Grüßle
Lafayette


Bunz

Beitrag von Bunz »

Danke, Lafayette. Jetzt weiß ich auch, warum die Bauern gegen die Agenda 2000 wettern.
lg
Bunz


Jürgen

Beitrag von Jürgen »

also nu möchte ich auch mal ein bischen was dazu sagen ,

ich meine das ein großteil dieser subventionen nicht notwenidg seien , als beispiel , Tabak , zuckerrüben diese sachen kann man günstiger und vorallem efektiver in den ursprungsländern anbauen , wozu muss ein tabakbauer noch 3/4 förderung bekommen dafür das man das hier viel zu teuer und viel zu aufwendig anbaut , sorry wiederspricht jeder logik.

ok im anderen bereich grünland oder getreide usw sehe ich bei der heutigen marktlage eine notwendigkeit der förderung da wir doch uns nicht letztentlich vom ausland ( import ) abhänig machen dürfen , sicher ist es für manche blödsinn da noch geld rein zu stecken , und sicher ist über viele jahre einfach wild drauf los gefördert worden was nicht hätte sein müßen .

ein betrieb sollte auch ohne beihilfen leben können das ist meine meinung nur meist geht das nicht mehr da der aufwand zu teuer geworden ist für das was unter dem strich rauskommt dafür .

ich denke das ist eine grundsatz frage , ich bin auch über jeden cent froh den ich vom vater staat bekomme , nur ich denke auch das viele förderungen einfach nur blödsinn sind

grüße jürgen


Fridolin
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Beitrag von Fridolin »

Schade, dass ich heute erst auf diesen Thread gestoßen bin. Ist sicherlich sehr aufschlussreich was uns Lafayette berichtet.

Ich behaupte ja, vieles wäre einfacher, wenn sich die EU nicht auf den grenzenlosen Warenverkehr versteift hätte. Die Möglichkeit zu exportieren, bringt den Zwang mit sich, noch mehr und noch billiger zu produzieren. Denn wenn ich die Landwirtschaftsförderung richtig verstehe, werden ja gerade die Exporte zusätzlich gefördert, was zu irrwitzigen Verarbeitungswegen führt. Das Beispiel der Kartoffeln, die von Deutschland nach Italien zum Waschen und sonstwohin zur Endverarbeitung gekarrt werden, ist sicherlich nicht das einzige Beispiel.
Abgesehen davon verlieren nicht nur die Konsumenten aufgrund dieses grenzenlosen Warenverkehrs die Übersicht, sondern erwiesenermaßen auch die Legislative.

Wäre es da nicht erforderlich, wieder zur Abschottung der Märkte zurückzukehren? Jedes Land versorgt sich selbst und importiert nur solche Lebensmittel, die im eigenen Land nicht wachsen oder produziert werden. Dann könnte jedes Land für sich selbst Regelungen treffen und müsste nicht ein übergeordneter, aber heillos überforderter Verwaltungsapparat irrwitzige Regelungen aufstellen. Auch würde der jeweilige Produzentpreis im landesweiten Niveau liegen und könnte die Landwirtschaft in allen Ländern überleben und bliebe obendrein kontrollierbar.

Ihr merkt schon, ich bin ein überzeugter EU Gegner und ich frage mich immer öfter, welcher Teufel uns reitet, dass wir diese Zustände wollen.


Bunz

Beitrag von Bunz »

Tja, Fridolin,
in mir hast Du da einen Gesinnungsgenossen.
Bloß, wie will man es anstellen?
Politisch gesehen, verweise ich immer auf die Schweiz.
Sie sind nicht in der EU, sie haben keinen Euro, und es geht ihnen hervorragend.
Für mich ist die EU eine riesige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.
lg
Bunz


Lafayette
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Beitrag von Lafayette »

Spinnen wir den Faden weiter. Hmm Fridolin, das wäre schon eine verlockende Vorstellung, der Schritt dahin brächte aber enorme Probleme.
Ich versuche es mal anhand von Deutschland zu veranschaulichen. Also, lt. Agrarbericht (Asche auf mein Haupt, den aktuellen habe ich leider nicht da) hat Deutschland bei z. B. Getreide, Rindfleisch, Butter und Magermilchpulver (MMP) einen Selbstversorgungsgrad (SVG) von satt über 100 %. Bei z. B. Schweinefleisch, Geflügelfleisch und Eiern einen SVG von weit unter 100%.

Die Getreide- und Rinderlandwirte sind sowieso schon die gebeutelten in der Agrarbranche. Wenn man denen jetzt vorschreiben würde noch weniger zu Produzieren, dann würden hier Proteste nach fanzösischem Vorbild ausbrechen, weil ein Teil dieser Betriebe dann gleich aufgeben könnte. Mal davon abgesehen liefen die Verbände Amok.

Länder wie Frankheich und die Niederlande sind darauf spezialisiert, da wo Unterversorgung vorliegt die Lücken durch Export zu schließen. Diese Länder sind regelrecht auf Export spezialisiert. Diese Länder müßten ihre Agrarproduktion extrem zurück fahren. Das gäbe Poteste wo die bisherigen französischen Potestaktionen ein Kindergarten dagegen wären.

Ein Land kann volkswirtschaftlich nicht nur Agrarprodukte importieren. Es muß auch exportieren. Sonst funktioniert das System von Geben und Nehmen einfach nicht.

So, letzendlich haben wir in der EU beinahe das System, was Fridolin für jedes einzelne Land anstreben möchte.
Brüssel bleibt, sofern es innerhalb der EU Überschüsse gibt, nichts anderes übrig, als auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Um diese Überschüsse nicht überhand nehmen zu lassen haben wir für die Agrargüter, wo EU weit Überschüsse produziert werden, die sog. Marktordnungen. Und damit wären wir wieder bei der Milchkontingentierung und der GAP-Reform, um der Übermengen Herr zu werden.

Irgendwelche Export/Import Stilblüten wird es immer geben. Ganz oft darf man der Presse nicht absoluten Glauben schenken. Die meisten Journalisten haben kein agrarpolitisches Hintergrundwissen. Und die, die dieses Wissen haben, schreiben keine reißerischen Artikel über Mißstände, sie versuchen statt dessen die Hintergründe zu beleuchten.

Fridolin, besorge Dir mal den Agrarbericht von Österreich. Diesen Bericht bekommst Du wahrscheinlich kostenlos von Eurem zuständigen Ministerium. Du wirst erstaunt sein, wo Dein Heimatland Überschüsse und Defizite im Agrarbereich hat. Vielleicht läßt dieser Bericht Dich milder über die EU urteilen.

Grüßle nach Austria
Lafayette


Lafayette
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Beitrag von Lafayette »

Nachschlag! Agrarpolitischer Bericht 2006 zum offiziellen, kostenlosen Download: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.bmelv.de/cln_045/nn_752130/S ... n_752130/S ... 02006.html</a><!-- m -->

In meinem vorhergehenden Beitrag beziehe ich mich auf die Tabellen 7 - 19 auf den Seiten 97 - 105 des o.a. Berichtes.

Warnung - keine gute Bettlektüre - man schläft beim Lesen schnell ein lol , oder man regt sich auf *shock* und kann deshalb nicht schlafen.

Grüßle
Lafayette


Fridolin
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Beitrag von Fridolin »

@Lafayette

Wenn es in einem Produktionszweig Überproduktion gibt und in einem anderen Unterversorgung, dann ist das doch gar nicht so schlimm. Der Markt würde es regeln, dass einige der Überproduzenten umsteigen würden. Ist zwar sicherlich nicht einfach, geschieht in anderen Branchen aber auch.

Ich muss dazu sagen, dass ich kein Landwirt bin, sondern hobbymäßiger Ziegenhalter geworden bin. Der entsprechende Einblick in die landwirtschaftlichen Strukturen fehlt mir, ich frage mich aber, wie wahrscheinlich Millionen anderer EU Bürger, wie es sein kann, dass die Hälfte des EU Budgets in die Landwirtschaft fließt und es den Landwirten trotzdem immer schlechter geht, ein Fleischskandal den anderen jagt´und Tierseuchen durch die Massentierhaltungsanlagen ziehen.

Ich will auch nicht verstehen, dass eine Stilllegungsprämie bezahlt wird und die Bauern zu Almosenempfängern gemacht werden, während alle Welt sich fragt, warum dieses Geld nicht dafür verwendet wird, Z.B. großflächig in die Biodieselproduktion einzusteigen.

Stattdessen höre ich heute in den Nachrichten, bei euch in Deutschland wird - auf EU Geheiss - der Preis für den Biosprit auf das Niveau des Normaldiesels angehoben.

Ja, spinnen's denn jetzt schon alle #bonk#


Lafayette
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Beitrag von Lafayette »

Hallo Fridolin,

in einer freien Marktwirtschaft werden eben Überschüsse exportiert in Länder, die genau dieses Gut nicht selber produzieren können. Im Gegenzug liefert ein anderes Land die Dinge, die nicht ausreichend im eigenen Inland produziert werden können, weil gewisse Grundvoraussetzungen nicht vorhanden sind.

Die Landwirtschaft ist aufgrund der in Jahrhunderten gewachsenen Strukturen nur bedingt flexibel. Sicher kann man einen Kuhstall zu einem Schweinestall umrüsten, aber wenn der Betrieb kaum Ackerland und viel Grünland hat, dann macht das keinen Sinn. Das Grünland wäre nicht verwertbar und die Futtergrundlage für Schweine, nämlich Getreide, würde nicht ausreichen. Es müßte verstärkt Futter zugekauft werden. Das ist teurer, mindert den Gewinn und führt u.U. dazu, daß die Schweinehaltung auf diesem Standort komplett unrentabel wäre.

Die Fleischskandale haben weniger mit der EU zu tun, sondern hängen mit dem Verlangen der Verbraucher nach immer billigeren Lebensmitteln zusammen.

Stillegung ist ein Mechanismus, um von der Überproduktion an Getreide weg zu kommen. Der Landwirt war schon vor der EU-Gründung ein Almosenempfänger. Das hatte ich in diesem Thread schon mal erklärt wieso.

Auf Stillegungsflächen kann ohne Probleme Raps für Biodiesel angebaut werden. Das machen nur wenige, weil man dazu einen sog. Abnahmevertrag mit einer Firma braucht, die den "Non-Food-Raps" abnehmen und verarbeiten kann. Die Aufnahmekapazität dieser Firmen ist begrenzt und so gibt es nur wenige Landwirte, die solche Verträge abschließen können.
Die Automobilindustrie hat äußerst wenig Interesse an den alternativen Treibstoffen. Da gibt es einen satten Filz mit der Ölindustrie!
Also gibt es aufgrund mangelnder Poduktion von geeigneten Autos wenig Nachfrage nach Biodiesel. Also stellen die Biodiesel-Produzenten nur so viel Biodiesel her wie sie auch verkaufen können und kaufen nur so viel Raps wie sie brauchen um dem derzeitigen Markt gerecht zu werden.

Wenn der Anreiz des günstigen Biodieselpreises jetzt auch noch wegfällt wird die Etablierung dieser Technologie noch länger auf sich warten lassen. Das verstehe ich persönlich allerdings auch nicht.

Grüßle
Lafayette


Gugugs
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Registriert: 13.06.2005, 15:08

Wieder mal was dazu sagen will..

Beitrag von Gugugs »

Hallo,

habe das Thema leider auch sehr spät gefunden.

Nur ein kleines Beispiel:
Wenn jeder in seinem eigenen Land anbaut und verkauft, nichts importiert und nichts exportiert..
.. woher sollen die Südfrüchte kommen??
Hier gäbe es im Winter nur Kohl und gelagertes Obst, aber das auch nur bis ins Frühjahr und Apfelernte ist erst im Spätsommer..

Wer würde sich beschweren - alle!

Jeder denkt "nur billig muss es sein" und niemand ist bereit den Anfang zu machen und beim örtlichen Bauer oder Direktvermarkter zu kaufen sondern rennt zum Aldi - weil günstiger!
Jeder sagt: "wir Kleinen können ja eh nichts daran ändern"

Genau das ist der springende Punkt!
Wir Kleinen - also jeder(!!) kann etwas daran ändern..
..wenn weniger bei Aldi, Lidl, Plus... (kenn sie gar nicht alle) kaufen, dann würde auch nicht eine Kette nach der anderen erweitert werden und die Bauern oder Kleingewerbe treibenden könnten ihre Produkte auch wieder günstiger verkaufen weil eben mehr Umsatz gemacht würde..

Bevor man also an den Staat appeliert sollte man bei sich selber anfangen und sich fragen was einem auf Dauer wichtig ist!

Ach ja - und die Milch beim Bauern direkt ist noch richtig gesund!
Die Pasteurisierte, na ja..

Ich bin auch vom nichts ahnenden Angestellten in eine Bauernfamilie gekommen und verstehe so manches jetzt besser..

Gruß Regina


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