Inzucht?!

Zickengeschwader
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Beitrag von Zickengeschwader »

Tuffi hat geschrieben:Hallo! Habe eine sehr kleine Zwergziege,die auch aus einer Inzest Herde kam. Ich finde , man tut den Tieren nichts gutes damit , meine kleine ist zwar süss und agil - aber nur ; weil ich sie ständig zufüttern muss wegen Gewichtsprobleme und sie bildet auch kein Winterfell! Wenn sie draussen friert muss sie einen Mantel tragen, sie hat "menschliche" Verhaltensmerkmale - das sieht zwar alles süss aus , aber natürlich ist das nicht. Sie ist schwächer als "normal gezüchtete",und muss oft vom TA untersucht werden.
Hallo

Wirft allerdings immer auch die schlecht klärbare Frage auf, ob ihre Probleme inzuchtverursacht sind, oder einfach das Management insgesamt dort nicht das beste war, was Fütterung, Weidefläche, Wurmkuren, etc. angeht.
Passieren da in der Aufzucht Fehler, sind die später kaum noch wieder gut zu machen. Das bleiben lebenslang dann traurige Kümmerlinge und/oder extrem-Zwerge.
Selbiges gilt noch stärker für Flaschenaufzuchten, die sowieso schon benachteiligt sind. Wenn Du schreibst, dass sich die Ziege auffallend "menschlich" verhält, spricht das evtl. dafür, dass letzteres ihr eigentliches Problem ist.

Viele Grüße, Kathrin


Die Welt, sie ist ein Irrenhaus und HIER ist die Zentrale.....
Tandgrisner
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Beitrag von Tandgrisner »

Sorry, aber manchmal muss man etwas hart sein.

Bei Ziegen kann man ohne weiteres eine gewisse Inzucht betreiben, das wurde oft und wird oft betrieben. Und bei seltenen Rassen gibt es keine andere Wahl, da soweiso alle verfügbaren Zuchttiere mehr oder weniger miteinander verwandt sind, ob man nun die genaue Abstammung kennt, oder aus dem nicht kennen heraus doch zwei verwandte Tiere zur Zucht nutzt.

Aber wer Inzucht betriebt, muss auch schlachten können! Bei Inzucht kommen immer bei einem Teil der Tiere mal wieder Gene zusammen, die reinerbig die Tiere nicht völlig vital sein lassen. Diese Tiere gehören geschlachtet. Eine Ziege, die nicht richtig wächst, Probleme mit dem Fell hat und im Winter mit einem Mäntelchen rumlaufen muss, leben zu lassen ist falsch verstandene Tierliebe. Es werden jedes Jahr so viele gesunde vitale Ziegenlämmer geboren, die auch geschlachtet werden müssen, dass es sicher besser ist, so welche zu behalten.

Gruß

Andreas


Matscher
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Beitrag von Matscher »

Wenn man nur mal die Natur betrachtet, welche keine "Moral" kennt und die härteste Auslese betreibt:
Stimmt. Auch da kommt durch die Herden- / Sozialstrukturen Inzucht vor. Aber: es wird nach anderen Massstäben, als denen des Menschen selektiert. Und auch Jungziegen werden mit 1/2 Jahr gedeckt und bekommen unerfahren bei mangelnder Kondition vielleicht ein schwaches Junges zur Welt. Generell fällt ein Teil der Nachzucht "Räubern" oder Aasfressern zum "Opfer". Fertig. Somit vermehren sich selbst bei Inzucht Auslese nur für die herrschenden Umweltbedingungen überlebensfähige Tiere. Das scheint uns natürlich grausam und unmenschlich. Und wir können dies nie nachstellen: wir selektieren immer nach anderen Merkmalen.....
Schlussendlich kann nicht nur Inzucht zu Problemen bei der Nachzucht führen (durch Weitergabe/ Manifestation unerwünschter Eigenschaften), auch der Mix fremder Gene und der Status des Muttertieres haben im Zusammenspiel mit vielen Umwelteinflüssen erheblichen Einfluss auf Lebensfähigkeit/ Gesundheit der Jungtiere.....
Gruss, Mathias


sanhestar
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Beitrag von sanhestar »

Hallo,

arrgh!!!!

Nein, gerne zum wiederholten Mal :-)

Wir können unsere über Jahrtausende auf frühe Leistung selektierten Ziegen NICHT mit den noch wildlebenden Ziegen vergleichen.

Wildlebende Ziegen werden erst mit ca. 15 Monaten geschlechtsreif, also kein Bedecken von 1/2jährigen "Kindern", sondern von gut gewachsenen "Jugendlichen". Es gibt keine zwei, sondern nur eine Bockigkeit im Jahr.

Junge Böcke werden von den Altböcken vertrieben oder dürfen nicht decken, falls sie in der Herde verbleiben, damit verringert sich schon das Risiko der Halb- und Vollgeschwister-Verpaarung.

Die Herdenstruktur ist matriarchalisch organisiert, die Ziegenfamilien bleiben, der Bock wechselt.

Da der Bock derjenige ist, der sich bei Angriffen zwischen Herde und Angreifer stellt, hat er das höchste Risiko in der Gruppe und es ist sehr wahrscheinlich, dass nur die besten wirklich ein hohes Alter erreichen.

Inzucht in Wildtierherden wird dann ein Problem, wenn die Population zu klein wird, ansonsten besteht genug Möglichkeit des Genaustausches durch Abwandern in andere Herden (Böcke), Stehlen von "neuem Blut" (Ziegen).

Alte Ziegen lehnen bei Anwesenheit eines alten Bockes oft Jungböcke als Paarungspartner ab.

und interessant, gerade gefunden:

http://idw-online.de/pages/de/news221807

Weibliche Hyänen vermeiden Inzucht, indem sie sich nur mit Männchen paaren, die zu ihren Lebzeiten in die Gruppe aufgenommen wurden.

Ich werde noch bei John Mionczynski nachfragen, bin mir aber ziemlich sicher, dass es ähnliche Lösungen auch bei Wildziegen gibt.

Gruss


Sabine M.H.
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Tandgrisner
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Beitrag von Tandgrisner »

Es gibt gerade bei Wildziegen und verwilderten Ziegen Beispiele von sehr starker Inzucht und trotzdem daraus entstehenden starken Populationen. Man muss bedenken, dass Inzucht nicht nur dann entsteht wenn sich bekanntermaßen verwandte Tiere paaren, sondern auch, wenn in kleinen Populationen immer wieder Tiere zusammenkommen, die irgenwann gemeinsame Vorfahren hatten.

Nehmen wir mal als Besipiel die Wildziege, die uns am nächsten ist, den Alpensteinbock. Da waren irgenwann nur noch etwas 100 Tiere in einem italienischen Schutzgebiet übrig. Von diesen stammen alle Steinböcke ab, die heute zwischen Frankreich und Slowenien leben. Da gibt es immer Inzucht, wer sich auch immer mit wem paart. Regional ist die Ursprungspopulation sicher noch kleiner, die schweizer Tiere stammen von ein paar Jungtieren ab, die die Schweizer von italienischen Wilddieben gekauft hatten, weil die Italiener keine Zuchttiere abgeben wollten.

Dazu gibt es viele Beispiele, dass Seefahrer ein paar Ziegen auf Inseln abesetzt haben, die sich dann zu großen Beständen vermehrt haben, mit leider oft sehr negativen Folgen für die Inselflora und -fanua. Auch hier wirkte Selektion gegen die Folgen der Inzucht.


sanhestar
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Beitrag von sanhestar »

Hallo,

wie Du so schön beschrieben hast, kommt Inzucht bei zu kleinen Beständen oder isolierten Beständen vor.

Diese unnatürlichen Zustände kann man jedoch nicht mit "der Natur" an sich gleichsetzen, denn alle von Dir genannten Beispiele sind durch menschlichen Einfluss entstanden (Aussetzen von Ziegen auf Inseln, Dezimieren von Wildbeständen, Einschränken von Lebensraum) und meiner Meinung nach sollte man sie sich auch nicht zum Vorbild oder als Alibi für die eigene Zuchtplanung nehmen.

Gruss


Sabine M.H.
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Tandgrisner
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Beitrag von Tandgrisner »

Hallo Sabine

ich gebe dir Recht, wenn es sich um große aktive Zuchtpopulationen handelt, z. B. bei WDE und BDE. Aber viele andere Rassen sind halt irgenwann durch einen sehr engen Flaschenhals gegangen, was die Populationsgröße angeht, oder es gibt auch heute noch nur noch sehr wenig Tiere der Rasse. Beispiele für das erste sind TWZ, Tauernschecken oder die holländische Landziege, von denen zeitweise nur sehr wenige Tiere übrig waren. Bei Zwergziegen gibt es mit Sicherheit in Westafrika riesige Bestände, aber es ist die Frage auf wie viele nach Europa importierte Tiere die hier vorhandenen Exemplare zurückgehen.

Da bleibt halt nur die Entscheidung zwischen Pest und Cholera, gewisse Inzucht akzeptieren oder die Rasse mit anderen kreuzen. Im Sinne der Rassenerhaltung würde ich dann immer das erste wählen, und tue es auch mit meiner Rasse, der Dänischen Landziege, von der es eben weltweit nur ein noch wenige hundert rassereine Zuchttiere gibt. Gewisse Inzucht heißt dann nicht, immer feste nur Vater auf Tochter oder Bruder auf Schwester, sondern so gut es geht weniger verwandte Tiere. Und möglichst viele Böcke verwenden und damit eine größere effektive Populationsgröße erreichen. Aber man darf sich eben keiner Illussion hingeben, dass nicht doch alle Tiere irgendwie miteinander verwandt sind. Und eben nur voll vitale Tiere zur Zucht benutzten und keine Kümmerlinge oder welche mit schiefen Beinen oder Euterproblemen.

Bei kleinen Populationen gibt es übrigens eine viel größere Gefahr als Inzucht, die genetische Drift. Das ist das zufällige Verschwinden von Genen (oder besser Allelen) auf Grund der geringen Anzahl Zuchtiere. Inzucht kann man wieder aufheben, wenn man zwei unverwandte ingezüchtete Tiere miteinander paart, dann sind in einer Generation alle Inzuchteffekte verschwunden, Verlust von Genen durch Drift ist unwiederbringlich.

Gruß

Andreas


Rene1207
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Beitrag von Rene1207 »

Hallo!!!!

Inzucht ist ja wie sicher jeder weiss der irgend etwas mit tierzucht zu tun hat eher die regel als die ausnahme der ausschlaggebende punkt dabei ist SELEKTION!
es werden nicht nur verstärkt die negativen eigenschaften dabei weiter gegeben sondern auch die positiven!!!!
um einen gewünschtes zuchtziel zu erreichen ist linienzucht nicht zu vermeiden!
allerdings ist es ja wohl in kleinen hobby beständen unnötig inzucht zu betreiben.

grüße rené


sanhestar
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Beitrag von sanhestar »

Hallo Rene,

nur nochmal ein paar Hinweise, dass Inzucht nicht nur positive Ergebnisse hat, auch nicht mit dem Hintergrund der "Rassenfestigung":

Linienzucht hat uns auch folgende "Rasseeigenschaften" beschert:

Tennesse Fainting Goats

Rassetypische Gesundheitsprobleme:

- erhöhte Krebsneigung bei Friesenpferden
- Augenprobleme (CEA, PRA, usw.) bei allen britischen Hütehunderassen und deren Abkömmlingen
- Taubheit beim Dalmatiner und anderen weißrassigen Hunden (Dogo Argentino, usw.)
- Cockerwut
- Epilepsie
- MDR1-Defekt

usw, usw,

und dass, trotz Selektion durch Menschenhand. Die ist nämlich nie so unbarmherzig wie die Natur und redet sich vieles schön.

Und noch eine Rückmeldung von den Ziegenpackern aus USA, die in Bergziegengebieten leben und/oder packen:

- Böcke gewinnen erst einen Harem, wenn sie alt genug sind, den Leitbock herauszufordern, ca. im Alter von 3-4 Jahren
- Leitböcke halten einen Harem selten mehr als 1-2 Jahre, da sie nach der Brunst durch Decken und Kämpfen so ausgepowert sind, dass sie im darauffolgenden Winter schlichtweg verhungern.

Gruss


Sabine M.H.
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Rene1207
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Beitrag von Rene1207 »

Hallo sanhestar!

da muß ich dir recht geben, und die liste währe noch um einiges grösser wenn man alle züchtungs bedingten probleme mal alle aufzeigen wöllte!!!
aber wahrscheinlich würde keine unserer hochleistungs rassen unter natürlichen bedingungen eine chance zu überleben haben.

grüsse rené


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