Der Freßtrieb "stirbt" zuletzt

Moritz

Der Freßtrieb "stirbt" zuletzt

Beitrag von Moritz »

Kleines Pädoyer für den gesunden Menschenverstand oder "Ich denke in Zusammenhängen und versuche, solche dort herzustellen, wo man sie zunächst nicht vermutet"

Unlängst schrieb eine Teilnehmerin, der "Spruch" im Titel dieses Threads, den ich sinngemäß im Thread über vermeintliches MOBBING gebraucht hatte, habe sie aufgerüttelt und den Tierarzt holen lassen.
Für jeden einsichtig, gehört der Freßtrieb zum Komplex der Selbsterhaltungstriebe bei jedem Lebewesen. Ein Tier, das nicht richtig frißt oder trinkt, muß uns auffallen: es "brütet" etwas aus oder ist schon erkrankt. Eine Katze, die plötzlich auffällig mehr trinkt als sonst oder als ihre Gefährten u. dies mehrmals, hat keine trockene Maus gefressen und will dies kompensieren, sondern sie hat wahrscheinlich ein Nierenproblem oder Diabetes.
Am Sonntag wendet sich eine Ziegenhalterin an uns und berichtet, ihr Bock, der mit 2 Kastraten zusammen lebt, sei zweimal von ihr im Stall liegend benommen aufgefunden worden, habe sich nicht allein aufrichten können. Einmal habe er kläglich gejammert, dann aber wiedergekäut.
Normal gefüttert (gutes Heu im Überfluß, Wasser, Leckstein).
Sie vermute, er sei, nachdem sie bei der Fütterung immer eine halbe Stunde dabei sei, von den Kastraten nach ihrem Weggang, geboxt worden und habe eine Gehirnerschütterung. Telefonisch konsultierter Tierarzt bestätigt diese Möglichkeit der Gehirnerschütterung. Da könne man nichts machen, auf Fieber achten.
Der Bock macht einen schlappen, gedrückten Eindruck.
Zwischendiagnose: Nach der Beschreibung liefe es auf "Mobbing" hinaus.
Das heißt sogar: auf eine Verschwörung!!!! Die anderen Tiere lauern sozusagen, bis Frauchen weg ist, und dann aber "Auf ihn ohne Gebrüll, aber mit Gewalt!"
Dies ist eine Vermenschlichung der Verhaltenserklärung -wobei hinzu kommt, daß dies nicht beobachtet worden ist.
Völlig falsch bleibt die Tierarzt-Annahme einer Gehirnerschütterung, die Ziegenschädelplatten sind nämlich so konstruiert, daß sie in einem "Abfederungssystem" die härtesten Stöße aushalten können. Eine Beeinträchtigung im Hirn als Möglichkeit gehört in den Hunderttausendstel-Promillebereich.
Weiter: Temperaturmessung ergibt 33,9 Grad, meine Zunächst-Vermutung eines Meßfehlers wird später durch Tierarztmessung ausgeschlossen, er kommt auf 34 Grad >>>>(hoffe, wenigstens das kann er).
Am Sonntag per mail kontaktiert, gehen wir Montag davon aus, er (Bock) sei tot, erfahren am Diestag abend, er lebt noch, frißt lustlos, ist vielleicht dadurch solange gerettet worden, daß er unter einer Wärmelampe liegt.

Auf Nachfrage erfahren wir, er ist im August entwurmt worden, Halterin kennt sein Körpergewicht nicht ( Zwergbock kann man auf den Arm nehmen und auf der Personenwaage Gewicht bestimmen), einiges an Wurmmittel ist daneben gegangen, er ist nicht nachentwurmt worden.
(Fortsetzung unter meinem Namen unten)


Matscher
Beiträge: 289
Registriert: 08.11.2007, 21:11

Beitrag von Matscher »

Na ja,
ein sog. Mobbing ist sicher der Definition nach unmöglich, aber Herdentiere sind durchaus in der Lage, ein ihrer Ansicht nach rangniederes Tier, welches während meiner Anwesenheit als Herdenchef durch mich geschützt oder schlimmer: mit Aufmerksamkeit bedacht wird, in meiner Abwesenheit besonders rigoros in seine Schranken zu weisen. In diesem Fall ist immer mangelnde Sachkenntnis von mir als Herdenchef Voraussetzung für solche Missstände. Entweder durch vorangegangene Fehlprägung eines Lammes auf Menschen bei mangelnder Sozialisation in der Ziegengruppe, oder aber Ignoranz des Herdengefüges und unberechtigte Bevorzugung eines rangniederen Tieres durch mich. Bei verständlichem menschlichem Mitleid sollte ich darum weniger durch eigene schützende Präsenz auffallen, da das eben nicht immer möglich ist. In der Ziegengruppe gibt es solche Partnerschaften durchaus. Stattdessen muss ich dem entsprechenden Tier ausreichend Rückzugsmöglichkeit bei gleichzeitiger gefahrloser Futteraufnahme ermöglichen, sprich: Konfliktsituationen im Vorfeld gar nicht erst aufkommen lassen......
Temperaturmessung sollte neben Inaugenscheinnahme der Kotbeschaffenheit die erste Massnahme sein.....so kann wertvolle Zeit genutzt werden. Derartige Untertemperatur hätte sowohl uns als auch unsere TÄ in Alarmstufe ROT versetzt.
Gruss, Mathias


Therapiehof

Beitrag von Therapiehof »

an sich eine vortreffliche Geschichte, da wir uns aber nur schwer abgewöhnen können menschlich zu handeln, wird sie immer wieder vorkommen. Handeln wir tierisch, sprich wir bocken und zicken z.B. hier im Forum verbal, laufen die anderen Sturm, werfen uns kommunkikative Unfähigkeit oder schlicht Besserwisserei vor.

Wir werden weiterhin die rangniedrigen Tiere in unserer Stallanwesenheit mit mehr Liebe und Fürsorge behandeln als die Starken. Ich z.B. rette gerade "Kunz " ein kleines 4 Wochen altes Böckchen dessen Mutter ihn nicht trinken lässt, indem ich eine Leihmutter mit genug Milch durch Festhalten und gleichzeitiges Streicheln zwinge, ihn als Fremdsäufer zu akzeptieren. Sie duldet es und "mobbt" den kleinen nicht, wenn ich mich entferne. Der Kleine weiss allerdings, daß er ohne mich es nicht versuchen braucht, sonst fliegt er hornaufgegabelt zwei Meter durch die Luft.

Zum Thema Gehirnerschütterung: unser tragischer Fall "Poldi", er hat sich (4 Mon. alt) von der Futterseite aus im Fressgitter eingesperrt, wohl aus Neugierde. Das mochte eine Jungziege gar nicht, seither heisst die "Mördergeiss" denn sie hat ständig mit den Hörnern auf ihn eingedroschen. Als ich endlich (nach geschätzt 10 Min.) zufällig in den Stall kam, blutete er aus der Nase und den Hornansätzen. Der darauf gerufene Tierarzt spritzte ihm ein Schmerzmittel und meinte, wie Moritz, die Hornplatten würden verhindern, daß da viel passiert. In ein paar Tagen ginge es ihm wieder besser. Leider war dem nicht so, und weil Poldi und ein paar seiner Kumpels in 14 Tagen eh geschlachtet werden sollte, hab ich ihn halt vorgezogen und allein zum "Notschlachten" gebracht. Nach Aussage des (kompetenten) Schlachters, war sein Schädel komplett zertrümmert, er hätte wohl keine 24 Std. mehr überlebt, er muß wohl ziemliche Schmerzen gehabt haben, hat aber nur leise gewimmert... hat mich ziemlich mitgenommen diese Geschichte..

Warum schreib ich das: auch Tierärzte irren, und wenn einer sagt es liegt im hunderttausendstel Promille Bereich, kann es trotzdem in diesem konkreten Fall sein...

warum aber ein Ziegenbesitzer bei einem irgendwie auffälligen Tier nicht als erstes Mal die Temperatur misst (das kostet ja noch nicht mal was), das ist mir wirklich rätselhaft, es gehört eigentlich in die "FAQ Krankheiten"

lg
Andreas


ClaudiaH
Beiträge: 1256
Registriert: 14.09.2005, 23:24

Beitrag von ClaudiaH »

Moin,

ich habe mal eine Ziege verloren, die vom Bock an der Raufe mit einem Schlag an die Stirn des Platzes verwiesen wurde (wir waren dabei). Die Ziege ist zwei Tage später wahrscheinlich an einer Gehirnblutung eingegangen. (D.h., sie wurde eingeschläfert, nachdem sie zu krampfem begann und liegend um sich schlug.)

Freundliche Weihnachten,
Claudia


Moritz

Beitrag von Moritz »

Mein schönstes Weihnachtsgeschenk:
der Text, den man sich vorher überlegt, strukturiert, von der Seele schreibt, unterbricht, damit er nicht verloren geht, absendet, ist futsch - und taucht nach 2 1/2 Tagen im Forum auf! Hurra!

Natürlich kann ein Tier stallbedingt, raufenverklemmt aufs Schwerste verletzt werden. Klar. Keine Widerrede von hier.

Dort aber war es zunehmende Schwäche - daher auch die zu lobende Umsichtigkeit, um gegenzusteuern (Temperatur messen, Griff zur Wärmelampe, warmes Wasser zum Trinken) -, die das Tier umfallen ließ. Fressen löst im Körper (kennen wir von uns: Speichelfluß, Gier, Sucht, Magensäfte, Phantasien) mannigfaltige Reaktionen aus.
Das merken auch die Würmer und reiten eine neue Attacke, die ein schon geschwächtes Tier umfallen läßt.
Das Böckchen - Gewicht nur noch 13,5 kg - war offensichtlich wegen Stinkens lange nicht gewogen worden, dadurch Wurmkur vielleicht (konnten wir nicht mehr ermitteln) ungenau, nicht nachentwurmt, auf Resistenzen wurde nicht geachtet. Mattigkeit, langsames Mümmeln unter Aufrechterhalten der Pansenaktivität deutet auf eine hochgradige Verwurmung hin. Dem Kot ist nichts anzusehen (durch Halterin).
Wir hoffen, daß er nun überleben wird. Glücklicherweise wurde nicht durch
Kraftfutter (dadurch ausgelöste Blutzuckerschübe) versucht, eine Gewichtszunahme beim Bock zu erreichen. Kraftfuttergabe hätte die Würmer zu noch mehr Aktivität veranlaßt.

Fröhliche Weihnachten für die, die es mögen!
Grüße in die Runde Moritz u. Ulrike


Mamona
Beiträge: 39
Registriert: 31.05.2007, 21:42

Beitrag von Mamona »

*rot werd*

Ok, ich oute mich mal als die mit der größten Danksagung :D

Liebe Grüße und einen guten Rutsch wünschen wir. Dank deinem "Spruch" nun glücklich zu viert *gg* Emma geht es klasse sie ist fast wieder die Alte, wobei ich immer noch behaupte sie wird etwas gemobbt. Sie ist das "schwarze Schaf" im Stall ;) Als einzige von 4ren braun gescheckt..die anderen sind schwarz. Hab das Gefühl das macht sie doch etwas zur Außenseiterin.

Aber sie frißt!!! Und das ist das wichtigste ;)

Gruß
Sandra, Toralf, Cleo und die braune Emma :)


Annabella
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Registriert: 19.11.2003, 10:48

Beitrag von Annabella »

Zum Thema Farbe:
Hier gibt es einen Pferdehalter, der 6 große Schimmel hat als Gespannpferde. Dazu hat er einige Ponies: Rappen und Schimmel. Und was steht auf der Weide zusammen? die kleinen und großen Schimmel, die Rappen bleiben eine Gruppe für sich!
In einem anderen Betrieb (Einstellbetrieb) gibt es alle möglichen Pferdefarben (außer Schimmel), alle weiden fröhlich gemischt- und der einzige Schecke steht immer alleine auf der Weide, am äußersten Rand.
Meiner Erfahrung nach gelten Schimmel und Schecken als Außenseiter in Tierherden.


Liebe Grüße,
Katja
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Ich bin wie ich bin.
Die einen kennen mich, die anderen können mich!
(Konrad Adenauer)
Eifelhexe
Beiträge: 2059
Registriert: 26.05.2002, 00:00

Beitrag von Eifelhexe »

Hallo ihr Lieben

Mobbing nach Farben und Rassen gibt es auch ganz besonders bei Hühnern!
Durch den Eingriff eines ganzen Fuchsrudels sind mir im letzten Jahr von meiner immer bunt gemischten Gruppe nur 3 weisse Hühner übrig geblieben.
Diese wurden fortan von den zahlenmässig anderen überlegenen Gruppen richtig angegriffen.
Erst der Zukauf von 5 weiteren weissen Tieren hat die Jagd auf die Outsider wieder erledigt.


Alles Liebe aus der Eifel,
Uli
PS: Die Natur ist der Balsam gegen die Leiden, die alle jene verursachen, die die Natur misshandeln.
Moritz

Beitrag von Moritz »

Vom Freßtrieb gehen wir über zum Gefressenwerden.
Denn diese Ausgrenzung von Tieren, die keine eigentliche Naturfarbe haben, dürfte auf die Zeit zurückgehen, als sie noch häufiger Beutetiere waren. Der Begriff Verhaltens-Atavismus gefällt mir dafür nicht so recht, ist wohl aber der Fachbegriff.
Die weißen Tiere als eher sichtbare wurden damit als "geopferte", angebotene Beute ausgegrenzt, um die größere Gruppierung zu schützen.
Selbst- und Arterhaltungstrieb.
Erst wenn die Zahl der "Fehlfarbigen" sehr groß ist, ist es für die "Normalfarbigen" statistisch unwahrscheinlicher, selbst zur Beute zur werden.
Ist diese Erklärung plausibel oder gibt es eine bessere?
Gruß Moritz


Elho
Beiträge: 108
Registriert: 15.05.2007, 19:14

Beitrag von Elho »

"Bauernopfer"... ;-)
mag sein


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