Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten?

Manfred
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Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten?

Beitrag von Manfred »

Dieses Thema liegt mir deshalb so am Herzen, weil ich leider oft sehen muss, dass selbst Menschen mit akademischer Ausbildung nicht gelernt haben oder wieder verlernt haben, lieb gewonnene Erklärungsmodelle und Thesen immer wieder und konsequent zu hinterfragen und auf kleinste Widersprüche und Fehler zu durchleuchten. Aber genau das ist die Hauptaufgabe der Wissenschaft, um eine Weiterentwicklung des Wissens zu ermöglichen.

Wer sich dagegen an liebgewonnene Vorstellungen klammert und nur versucht, diese zu untermauern, statt sie zu hinterfragen, der fällt der Dogmatik anheim und wird zum Bremsklotz im Prozess des Erkenntnisgewinns, statt Teil der Lösung zu sein. Das ist menschlich. Wir neigen alle dazu. Deshalb ist es wichtig, uns dieses Problem immer wieder bewusst zu machen, an uns selbst zu arbeiten und unsere eigenen Positionen zu hinterfragen.

Besonders schwierig ist es, diese wissenschaftliche Disziplin in Organisationen aufrecht zu erhalten. Organisationen neigen immer zur Dogmatik und sind oft erst Jahrzehnte nach einer neuen Erkenntnis in der Lage, diese Erkenntnis zu akzeptieren und umzusetzen. Meist erst dann, wenn die Mehrheit der Mitglieder der Organisation die neue Erkenntnis zum neuen Dogma erhoben hat.

Deshalb geht eine Weiterentwicklung fast nie von Organisationen aus, sondern von den einzelnen Menschen, die als erste bereit sind, eine neue Erkenntnis zu akzeptieren und umzusetzen, in der Regel gegen den Widerstand der dogmatischen Mehrheit.
Das ist ein langwieriger Prozess. Erst wenn eine kritische Masse von einigen Prozent des betroffenen Personenkreises erreicht ist, fängt das neue Wissen an, sich in einer exponentiellen Welle auszubreiten.

Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten:
-Man beobachtet / macht Experimente und versucht, daraus Zusammenhänge abzuleiten.
-Die vermeintlich erkannten Zusammenhänge beschreibt man in einem Modell / einer These.
-Man prüft das Modell / die These so intensiv, wie man nur kann, auf Widersprüche und Fehler. Dabei ist der Normalfall, dass man das Modell / die These über Bord werfen oder zumindest korrigieren muss. Die Geschichte der Wissenschaft besteht hauptsächlich aus überholten und x-fach korrigierten Modellen und Thesen. Dadurch bricht keinem Wissenschaftler ein Zahn aus der Krone. Wenn es richtig gut läuft, kann man helfen, ein Modell ein Stück weit weiterzuentwickeln.
-Anhang des aktuellen Modells versucht man, zukünftige Entwicklungen vorherzusagen.
-Die tatsächliche Entwicklung wird beobachtet und mit diesen Ergebnissen das Modell wieder hinterfragt und korrigiert oder über Bord geworfen.
Das Wichtigste ist, den Vorgang des Hinterfragens konsequent aufrecht zu erhalten. Große Fortschritte der Wissenschaft beruhen oft auf der zufälligen Beobachtung winziger Unstimmigkeiten in bestehenden Modellen.


Manfred
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Re: Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten?

Beitrag von Manfred »

"Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist."

Max Planck in "Wissenschaftliche Selbstbiographie", Johann Ambrosius Barth Verlag, Leipzig, 1948, S.22

Das Problem des Festklammerns an lieb gewonnen Dogmen ist altbekannt. Diesbezüglich kann nur jeder an sich selbst arbeiten.


Fred
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Re: Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten?

Beitrag von Fred »

Manfred, Manfred... da schneidest ein heikles Thema an. Nicht nur, weil jede Wissenschaft ihre eigenen Kriterien hat, sondern auch weil mit dem Schlagwort "wissenschaftlich" doch gerne Politik bzw. Meinung gemacht wird. Wenn ich an meine Zeit an der Uni zurückdenke -allerdings Ingenieurstudium- so wurde letztlich erstaunlich wenig darüber diskutiert, was "wissenschaftlich" ist. Schliesslich ist man ja an der Uni, und was hier gemacht wird, ist per se "wissenschaftlich". So arbeiten die meisten eben so weiter, wie ihnen am Institut vorgemacht wurde, und lehnen andere arbeitsweisen entsprechend als "unwissenschaftlich" ab.
Klassisch sind ja auch die Anomositäten zwischen den Fakutläten, wo jeder gerne seine Nase höher hebt, als die Nachbarfakultäten. Beispielhaft die Rivalität zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften, oder gar zu den Kollegen der Theologie...
Von der Beschäftigung mit der historischen Entwicklung der "Wissenschaftlichen Arbeitsweise", bleibt besonders Francis Bacon als Wissenschaftstheorteiker im Gedächtnis, mit seiner markigen Aussage: "Die Natur muss im Experiment auf die Folter gespannt werden, bis sie ihre Geheimnisse preisgibt" [Q]

Rückblickend auf meine Erfahrungen in den Heiligen Hallen, finde ich da schon fast ironisch, daß inzwischen gerade die Disziplin, die Ursprünglich die Messlatte für andere gesetzt hatte - die Physik- die nach der Vorstellung der Newtonschen-Mechanik meinte die ganze Welt mathematisch exakt erfassen zu können, inzwischen immer mehr mit Statisiken und Wahrscheinlichkeiten hantiert, je weiter sie in den atomaren und subatomaren Bereich vordringt.

Was für mich allgemein übrigbleibt, sind die Fragen nach einem systematischen Ansatz im Vorgehen und eine Dokumentation, die alles ausreichend begründet, und nachvollziehbar macht. Restliche Kriterien sind dann je nach Kontext entsprechend zu bewerten, um beurteilen zu können, was mit der jeweiligen Arbeit anzufangen ist.

Wer sich mehr mit der Frage nach der Seriösität im Umgang mit dem Attribut "wissenschaftlich" in öffentlichen Diskurs beschäftigen will, dem sei das Buch "Gekaufte Forschung - Wissenschaft im Namen der Konzerne" von Prof. Christian Kreiß, erschienen im Europaverlag München 2015 als aufschlussreiche Lektüre zu empfehlen.


Christoph
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Re: Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten?

Beitrag von Christoph »

Zum Thema "Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten", so wie es hier aufgefasst wird, gehört auch das Thema Paradigmen und Paradigmenwechsel.
In Sichtweisen und Paradigmenwechsel hatte ich dazu zwei Beispiele gezeigt. Vor allem das Bild von der je nach Sichtweise jungen oder alten Frau sollte zu denken geben.
Das grundlegende Buch zu dem Thema ist Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen von Thomas S. Kuhn.

Interessant ist hier auch der Effekt der in Verfälschung der Wahrnehmung durch Gruppenzwang beschrieben ist.


Viktualia
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Re: Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten?

Beitrag von Viktualia »

von Fred: ...Fragen nach einem systematischen Ansatz im Vorgehen...
Ein systemischer Ansatz würde die Fragwürdigkeit mancher Versuchsanordnung ebenfalls minimieren können.
Ich bin nicht ganz sicher, aber es ist ein Verschreiber, oder?

Christoph, ich hab meinen Kommentar auf deine Seite geschrieben (Gruppenzwang). Aber geht es bei den von dir geschriebenen Sachen nicht eher um "Unwissenschaftlichkeit" und deren "natürliche"/soziologische Ursachen?

Wie immer wissenschaftliches Arbeiten inhaltlich idealerweise funktioniert, es möge sich weder von überlieferten Denkweisen, noch Meinungen oder Erwartungen beeinflussen lassen, noch von dem, was die Heerscharen von Laien daraus machen.
Und ein guter Anfang ist sicher, sich dessen bewusst zu sein: dass man sich nicht wirklich teilen kann - in die Privatperson, die Teil einer Gruppe ist und den Wissenschaftler mit all seiner heren Sachlichkeit.


Christoph
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Re: Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten?

Beitrag von Christoph »

Mir sagt meine praktische Erfahrung, dass unser System und teilweise sicher auch die Hochschulforschung ziemlich korrupt ist. Sicher sind nur wenige dummdreist-offen kriminell, aber das durch bewusstes Weglassen und durch die Formulierung der Versuchsbedingungen oder des Studiendesigns gezielt die vom Auftraggeber gewünschten Ergebnisse erzielt werden, halte ich inzwischen für in der Regel selbstverständlich. Wer sich nicht daran hält bekommt oft keine Aufträge mehr.

Ein gutes Beispiel dafür, dass das heute so ist, habe ich gerade, im Rahmen der 6. Lektion von Elaine Inghams "Life in the Soil"-Kurs kennen gelernt ( https://environmentcelebration.com/educ ... -overview/ ) . Das Transkript und Video des Kurses ist geschützt. Aber mit Elaine Ingham Klebsiella planticola und Michael Holms findet google eine ganze Menge andere Quellen. Es gibt sogar eine deutsche Darstellung: http://explikator.de/podcast/expl0572-k ... lanticola/
So wie Frau Ingham die Geschichte darstellt, klingt diese schon sehr schlüssig und glaubwürdig. Michael Holms hat seien PhD bekommen, weil ihm letztlich keine wissenschaftlichen Fehler nachgewiesen werden konnten und Frau Ingham konnte man wohl auch nicht am Zeug flicken. Sie hat aber nach dieser Geschichte, und wegen ihrer Weigerung die Gefahr klein zu reden, wohl nicht mehr die für die Uni viel Geld bringenden Forschungsaufträge der Industrie (Monsanto & Co) bekommen. Die Folge war, dass sie die Uni schließlich verlassen und sich selbstständig gemacht hat.

Das ist wohl auch der Grund warum sie ihre Kurse und Bücher ziemlich teuer verkauft. D.h., nachdem ich nun alle Videos der Lektionen "Life in the Soil Class", "Microscopy Class" und "Compost Class" jeweils mindestens einmal angesehen habe, finde ich schon, dass Frau Ingham ganz sicher kein Quotenweibchen, sondern eine wirklich erstklassige Wissenschaftlerin und Professorin ist, die Hochschulbildung vom Feinsten bietet. D.h., es ist eine Frau, die auch ohne Quoten ziemlich locker einen Lehrstuhl bekommen hat und sicher auch behalten hätte - wenn ihre Kombination aus Fachgebiet, exzellentem Fachwissen, sehr klarem Verstand, didaktischem Talent und Ethik, besser mit den Interessen von Monsanto & Co harmoniert hätten.

Das Know How, das Elaine Ingham vermittelt, wird sich meines Erachtens durch die wirtschaftliche, umweltpolitische und vielleicht auch sicherheitspolitische Zwänge durchsetzen. Es ist wohl dieser Zusammenstoß mit den Zwängen realer Knappheit und Gefahren, der letztlich zu überhaupt zu Ehrlichkeit, Realitätssinn und wissenschaftlicher Redlichkeit zwingt. Betrug und Korruption sind eine Belastung, die sich eine Gesellschaft und auch die Wissenschaft nur in Zeiten des Überflusses und des fetten Friedens leisten kann.
Mich erinnert das an Peter Turchins Buch "Ultrasociety: How 10,000 Years of War Made Humans the Greatest Cooperators on Earth". Der Krieg hat das was wir an Ethik, Gemeinsinn und wissenschaftlicher Seriösität usw. haben immer wieder erzwungen. Sicherer Frieden und Wohlstand bringen automatisch Korruption, Betrug usw. weil diese denjenigen, die betrügen und korrupt sind, Vorteile bieten. Erst wenn die Gesellschaft existenziell bedroht wird, wird sie gegen Trittbrettfahrer, Betrüger usw. hinreichend brutal vorgehen, weil die von diesen verursachten Kosten dann eine für alle tödliche Gefahr werden, die zu eliminieren für alle überlebenswichtig wird.
Die Frage wie wissenschaftliches Arbeiten tatsächlich funktioniert hängt also auch von den Rahmenbedingungen und Zwängen der Gesellschaft ab.
Die Frage am Anfang des Threads meinte aber wohl, wie wissenschaftliches Arbeiten idealerweise funktioniert, wenn Korruption, Betrug und Manipulation tatsächlich unattraktiv sind.
zum Kommentar von Viktualia: Wie immer wissenschaftliches Arbeiten inhaltlich idealerweise funktioniert, es möge sich weder von überlieferten Denkweisen, noch Meinungen oder Erwartungen beeinflussen lassen, noch von dem, was die Heerscharen von Laien daraus machen.
Dazu passt übrigens das Motto meiner Webseite ( https://www.freizahn.de/motto/ ), ein Zitat von Henri Poincare:
“Das Denken darf sich niemals unterwerfen, weder einem Dogma, noch einer Partei, noch einem Gefühl, noch einem Interesse, noch einem Vorurteil, noch gegenüber was auch immer, ausser den Fakten selbst. Denn sich unterwerfen bedeutet das Ende allen Denkens.”


Fred
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Re: Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten?

Beitrag von Fred »

Viktualia hat geschrieben: 18.06.2018, 17:46
von Fred: ...Fragen nach einem systematischen Ansatz im Vorgehen...
Ein systemischer Ansatz würde die Fragwürdigkeit mancher Versuchsanordnung ebenfalls minimieren können.
Ich bin nicht ganz sicher, aber es ist ein Verschreiber, oder?
Ich meine systematisch in diesem Zusammenhang, wie ich es geschrieben habe. Ich komme aus der Technik/Konstruktion/Maschinenbau von meiner Berufsausbildung. Wir haben im Labor auch viele Komponenten isoliert untersucht, weil wir ihre Eigenschaften bestimmen mussten, um sie verwenden zu können. Daher sehe ich schon auch Sinn und Erfordernis einer nicht systemischen Untersuchung. Wir haben die Daten ja für unsere Arbeiten gebraucht.
Dafür mussten wir schon auch ausreichend systematisch/wissenschaftlich vorgehen, unsere Laboraufbauten entsprechend entwerfen, und dokumentieren, um auch belastbare Resultate zu bekommen, wie wir sie für unsere Arbeit benötigt haben.
Ob eine Arbeit systemisch (Duden- Gesamtsystem betreffend) ist, oder nicht, ist für mich zwar ein Kriterium, um eine Arbeit einordnen zu können, in ihrer Aussagekraft und ihrem Geltungsbereich. Für das Kriterium eine Arbeit als wissenschaftlich ja/nein einzustufen aber nicht.


Fred
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Re: Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten?

Beitrag von Fred »

Christoph hat geschrieben: 18.06.2018, 22:59 Mir sagt meine praktische Erfahrung, dass unser System und teilweise sicher auch die Hochschulforschung ziemlich korrupt ist. Sicher sind nur wenige dummdreist-offen kriminell,
Wieso nicht? Solange man damit durchkommt? Wenn man sieht, was die Bahn bei der Auseinandersetzung um S21 bei sog. Stresstest abgeliefert hat, das ist da schon ziemlich heftig. Auf Wikireal ist da ja einiges dokumentiert. Ich hätte mir nie vorstellen können, daß Studien/Gutachten so realitätsfremd erstellt werden.
Teil der Kritik wurde öffentlich im Fernsehen angeprangert, und ganze Politik/Verwaltung hat sich vor Bahn gestellt- da sie auch damit drinhängen. Auch Medien haben mit einer Berichterstattung, die sich an Formalien abarbeitete das ihre dazu getan. Die Schlagzeile "Stresstest Bestanden" wurde durch die Republik gejagt, bevor Ergebnisse einsehbar waren. Die Kritik die sofort vorgebracht wurde, weil unübersehbar wurde weggeredet, und als alles klar herausgearbeitet war, wurde jede Veröffentlichung mit "Das Thema ist durch- niemand interessiert mehr" abgeleht. Seitdem stehen die Manipulationen öffentlich einsehbar im Internet und niemand kümmert es. Ergo ... warum nicht dummdreist Manipulieren, wenn es sich doch lohnt? Für mich ist der Dieselskandal nur die Spitze vom Eisberg.
Das ist wohl auch der Grund warum sie ihre Kurse und Bücher ziemlich teuer verkauft. D.h., nachdem ich nun alle Videos der Lektionen "Life in the Soil Class", "Microscopy Class" und "Compost Class" jeweils mindestens einmal angesehen habe, finde ich schon, dass Frau Ingham ganz sicher kein Quotenweibchen, sondern eine wirklich erstklassige Wissenschaftlerin und Professorin ist, die Hochschulbildung vom Feinsten bietet. D.h., es ist eine Frau, die auch ohne Quoten ziemlich locker einen Lehrstuhl bekommen hat und sicher auch behalten hätte - wenn ihre Kombination aus Fachgebiet, exzellentem Fachwissen, sehr klarem Verstand, didaktischem Talent und Ethik, besser mit den Interessen von Monsanto & Co harmoniert hätten.
Ich habe mir damals auch einige Videos aus der Serie Ingham at Comon-Ground (Kursaufzeichnung in Hawai) angesehen. Was mir im Kopf geblieben ist, wo sie für große Farmen gearbeitet hat. Dort hat sie überschlagen, welche Geldsummen den Betrieben bereits im ersten oder in 2 Jahren an Mehrgewinn durch ihre Beratung entstanden ist. Fünfstellige Beträge und mehr, sind da schnell zusammen. Wer solch ein Wissen verkauft, kann da dann auch einen vierstelligen Preis verlangen.
Mich erinnert das an Peter Turchins Buch "Ultrasociety: How 10,000 Years of War Made Humans the Greatest Cooperators on Earth". Der Krieg hat das was wir an Ethik, Gemeinsinn und wissenschaftlicher Seriösität usw. haben immer wieder erzwungen. Sicherer Frieden und Wohlstand bringen automatisch Korruption, Betrug usw. weil diese denjenigen, die betrügen und korrupt sind, Vorteile bieten. Erst wenn die Gesellschaft existenziell bedroht wird, wird sie gegen Trittbrettfahrer, Betrüger usw. hinreichend brutal vorgehen, weil die von diesen verursachten Kosten dann eine für alle tödliche Gefahr werden, die zu eliminieren für alle überlebenswichtig wird.
Das sehe ich nicht so, ohne das Buch zu kennen. Mir sind einige Episoden von WK-2 bekannt, wo Wirtschaftsinteressen einiger Konzerne klar über die Interessen der jeweiligen Gesellschaften den Krieg effizient zu beenden gestellt wurden. Dafür gibt es Beispiele auf beiden Seiten: Ford und IBM haben NS-Deutschland mit Material und IT-Technik bliefert, ohne die 3-Reich nicht möglich gewesen wäre.. Die Nichtkriegsführung gegen die deutschen U-Boote in der Karibik , um mehr Schiffe zu verkaufen[1] gehört auch dazu, sowie die Wirren um die Entwicklung der ME-262 als Bomber/Jäger[2].

Ethik von aussen zu erzwingen, sei es durch Doktrien (Religion/Gesetze) oder Krieg halte ich wenig erfolgversprechend. Ethik muss durch Überzeugung, wie in Permakultur von innen kommen.

Ich weis, von meinen Erfahrungen sehe die kapitalist. Gesellschaft wenig Positiv. Andererseits muss ich auch eingestehen, daß die Dinge jetzt massiv auffliegen, kann auch Teil einer Wende sein.

-----------------

[1] s. Doku: Verdammte See - Das Geheimnis um U166
[2] s. Buch: Me 262 Radinger/ Schick


Manfred
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Re: Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten?

Beitrag von Manfred »

Fred hat geschrieben: 20.06.2018, 01:13 Wir haben im Labor auch viele Komponenten isoliert untersucht, weil wir ihre Eigenschaften bestimmen mussten, um sie verwenden zu können. Daher sehe ich schon auch Sinn und Erfordernis einer nicht systemischen Untersuchung. Wir haben die Daten ja für unsere Arbeiten gebraucht.
Dafür mussten wir schon auch ausreichend systematisch/wissenschaftlich vorgehen, unsere Laboraufbauten entsprechend entwerfen, und dokumentieren, um auch belastbare Resultate zu bekommen, wie wir sie für unsere Arbeit benötigt haben.

Darin liegt ein häufiger Irrtum der Wissenschaft.
Was du beschreibst funktioniert sehr gut in nicht komplexen (aber beliebig komplizierten) Systemen, wie eben beim Maschinenbau.
Da kann ich die Aufgabe in einzelne Abläufe zerlegen und diese von den jeweiligen Fachleuten analysieren und mir entsprechende Lösungen entwickeln lassen.

Dieses mechanistische Wissenschaftsbild auf komplexe Systeme zu übertragen, funktioniert aber nicht.
Komplexe Systeme zeichen sich neben einer unüberschaubaren Zahl von Variablen vorallem dadurch aus, dass sie selbstregulierend sind. Sprich wenn du irgendeinen Teil herausnimmst, laufen sie und/oder der Teil verändert irgendwie weiter und produzieren dabei die verschiedensten Reaktionen, verhalten sich aber idR nicht so wie das originale Ganze.
Bei einer noch so komplizierten Maschine ist das nicht so. Wenn du da irgendeinen funktionalen Teil wegzwackst, dann funktioniert der entsprechende Ablauf gar nicht mehr.

Natürlich kann man sich einzelne Abschnitte eines komplexen System herausgreifen und versuchen, sie zu analysieren. Sie werden sich isoliert aber nie so verhalten wie im Zusammenspiel des Ganzen. Auche jeder Versuchsaufbau nimmt selbst Einfluss auf das System.
Das macht die Versuchsplanung in komplexen Sysstemen viel schwieriger und anspruchsvoller.

Der Versuch, den mechanistschen Ansatz auf die Landwirtschaft zu übertragen, hat zu der "grünen Revolution" und ihren Segnungen an Dünge- und Pflanzenschutzmitteln geführt. Und heute bemühen wir uns, die regenerative Landwirtschaft zu entwickeln, um die Kollateralschäden der grünen Revolution und die Schäden des dieser vorhergehenden Wirtschaftens wieder zu reparieren.

Wir Menschen neigen zu mechanistischem Denken, leben aber in einer komplexen Welt. Alles was mit Natur und menschlichen Organisationen zu tun hat, ist komplex. Und wenn man da gute Lösungen will, braucht es einen ganzheitlichen Ansatz, wie von Savory vorgeschlagen.

Wenn du Grünland von seinen Evolutionspartnern (Pflanzenfresser und deren Prädatoren etc.) isolierst, oder die Kuh von ihrer Weide etc. werden die einzelnen Teile zwar irgendwie weiter funktionieren, aber daraus ein Verstädnis des ehemaligen Ganzen ableiten zu wollen ist verdammt schwer.
Genauso wie sich aus einer isolierten und mit verschiedenen Nährstoffen gefütterten Pflanze nicht die hochkomplexen Abläufe zwischen Pflanze und Bodenleben rekunstruieren lassen.
So gesehen ist das Jena-Experiment natürlich ein Fortschritt gegebüber Versuchen im Labor, aber halt trotzdem nur ein Ausschnitt einer deutlich komplexeren Welt.


Viktualia
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Re: Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten?

Beitrag von Viktualia »

So gesehen ist das Jena-Experiment natürlich ein Fortschritt gegenüber Versuchen im Labor, aber halt trotzdem nur ein Ausschnitt einer deutlich komplexeren Welt.
Den Eindruck hatte ich auch. Bestes Beispiel fand ich diese Dächer, winzigklein im großen Feld, bremsen sie zwar Regen, aber nicht den Tau aus, von Kondens- und abfliessendem Wasser ganz abgesehen.
Komische Konstruktion.

Manfred, beim ersten Abschnitt dachte ich noch: aber schön, dass "systemisch" ja "systematisch" nicht in dem Maße ausschliesst, wie umgekehrt.
Tja, da ist nicht viel von übrig geblieben...
Da möchte ich folgenden Gedankengang einwerfen, (denn "ordentlich" soll es ja sein):
das Systematische in der "normalen Wissenschaft" muss ja immer bis ins totale Extrem gehen. Also "wahr" ist es nur, wenn es sich ewig nicht verändert. Würde es nicht reichen, diesen Teil weg zu lassen?
Sorry, das ist noch ein wenig unausgegoren formuliert, bin ja auch ganz und gar keine Akademikerin.
Hab halt nur mein Ding gegen "Entweder/Oder" laufen....

Das Systematische auszuschliessen kann es jedenfalls nicht sein.

Definiertere Zonen, kommt mir da in den Sinn, als Begriff aus der PK.
Wäre natürlich hochspannend, "systematisch" nachweisen zu können, dass Muster mehr Wirkung haben können als Zutaten.

Ernsthafte Frage: ist "Systemisch" nicht immer auch "systematische Koordination", mit vielen "Schnittstellen", zusatzlich zu mehr Variablen?
Nicht beim Betrachter, beim Betrachteten.

Tut mir leid, ich kann nicht genau sagen, wie es funktionieren müsste, aber das Systematische so früh auszuschliessen, wäre ein klarer Fall von "das Kind mit dem Bade ausschütten".
(Aber wie gesagt, das Problem bei der Quantität/ewigen Wiederholbarkeit zu verorten wär angemessen.)
Mein Ansatz käme dann dem von Christoph näher, obwohl er das wohl nicht in dem Sinne gemeint hat: sich den Fehlerquellen stellen, aus den Kontrollgruppen extra Subjektivität holen. Systematisch die "Korrumpierbarkeit des Systems" erforschen. Wobei ich auch das "System Versuchsanordnung" meine. Anerkennen, dass da immer 3 Systeme korrespondieren: Mensch, Objekt, Muster.

Vielleicht auch dem Unterschied "Beobachten" und "Fragen" mal Achtung zollen, von der ethisch-philosophischen Seite.
Es mus ja nicht immer Schrödingers Katze sein, aber Subjektivität fängt doch eigentlich mit einer Fragestellung schon an, ich schaue anders auf die Sache. Und tatsächlich sind dann manche Sachen weg. Schlimmer als bei der Katz´.


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