Wie finde ich die passenden Rinder für meinen Betrieb?

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Manfred
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Wie finde ich die passenden Rinder für meinen Betrieb?

Beitrag von Manfred »

Hier soll es darum gehen, wie man die passenden Rassen und Zuchtlinien für seinen Betrieb auswählt.

Zum Einstieg ein Vortrag von Anet Spengler vom FiBL über ihre Erfahrungen bei der Beratung von Bauern im Schweizer Berggebiet:

Für ein optimales Ergebnis müssen die Tiere zur Futtergrundlage und den sonstigen Voraussetzungen des Betriebs passen. Weniger (Produktionsleistung des Einzeltieres) ist dabei oft mehr:



Frau Spengler spricht mir da aus dem Herzen. Ich sehe oft, dass Kollegen sich blenden lassen und Tiere auswählen, die einen zu hohen Input brauchen, und dieser Input für den Betrieb dann so teuer wird, dass am Ende daraus ein schlechtes wirtschaftliches Ergebnis resultiert.
Die Kosten für Arbeitszeit, Maschinen, Gebäude, Zukauf-Futtermittel etc. laufen uns immer schneller davon, während die Produktpreise weitgehend stagnieren oder inflationsbereinigt sogar fallen.
Das Schneller-Höher-Weiter hat m.E. seinen Zenit bereits in den 1950er bis 1970er Jahren überschritten, als Arbeit und Futter noch billig und die Produkte noch teuer waren. Seither werden die Margen der input-intensiven Produktion immer kleiner und müssen durch immer mehr Menge ausgeglichen werden.
Durch diese einbrechenden Margen der input-intensiven Produktion haben sich am anderen Ende der Skala aber Chancen für eine input-extensive (dafür oft management-intensive) Produktion aufgetan, die wieder hauptsächlich auf das setzt, was der Betrieb zur Verfügung hat: Sonnenlicht, Luft, Wasser, Boden, Pflanzen und dazu passende Tiere, welche eine geringere Produktionsleistung des Einzeltieres durch deutlich niedrigere Kosten und eine hohe Effektivität überkompensieren.


Fred
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Re: Wie finde ich die passenden Rinder für meinen Betrieb?

Beitrag von Fred »

WEbseite am FiBL
Webseite zum Projekt
In Spalte Rechts der Einschätze/Fragebogen, auf den in dem Vortrag wohl verwiesen wurde, mit Erleuterungen.
Auch Beurteilungsbogen für Körper-Konditions-Beurteilung dort zu finden.

Infovideo zu Forschungsstand Zweinutzungsrassen:


Wer auf der Webseite etwas herumsucht, findet noch weitere Info-Filme.


alpenblümchen
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Re: Wie finde ich die passenden Rinder für meinen Betrieb?

Beitrag von alpenblümchen »

Ein Beispiel einer Umstellung von Milchvieh auf Mutterkühe.

https://www.schweizerbauer.ch/tiere/mil ... lsche-kuh/


Manfred
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Re: Wie finde ich die passenden Rinder für meinen Betrieb?

Beitrag von Manfred »

@Angler:
Was du schreibst, ist eine Sammlung von Gemeinplätzen.
Natürlich ist es tendenziell richtig, dass die Preise steigen, wenn die Menge sinkt.
Das haben die einzelnen Bauern aber nicht unter Kontrolle, schon gleich gar nicht durch die offenen Grenzen innerhalb der EU und in die EU hinein.
Und wenn die Marge je Liter sinkt, du aber weiter melken willst, was bleibt dir dann, als die Menge in deinem Betrieb zu erhöhen? (Von Nischenmärkten mal abgesehen).
Solange wir keinen wirksamen Außenschutz haben, und der ist politisch nicht gewollt, kommen mit Milcherzeuger aus der Mühle Wachsen oder Weichen nicht heraus. Und diese Entwicklung beschleunigt sich weiter, weil die Inputkosten mit der input-intensiven Milchproduktion dem Produktpreis immer schnelle davonlaufen. Das hält schon länger an und das es sich verschärft war abzusehen, aber jetzt hat es ein Maß erreicht, wo viele selbsterkannte Zukunftsbetriebe vom Markt gefegt werden, in allen Sparten der tierischen Veredelung. Deshalb sind auch so viele Bauern zu Protesten auf den Straßen, fast jeden Tag.
Kaum jemand ist glücklich mit dieser Situation. Und die Politik, die als einzige die Macht hätte, da zu ändern, macht genau das Gegenteil und verschlimmbessert die Lage noch fast täglich.

Zucht auf Lebensleistung ist doch eine Selbstverständlichkeit. Sie war zwar in den letzten Jahren etwas unter die Räder gekommen, durch die schnellen Fortschritte bei der Leistung, wenn du die Statistiken der letzten Jahre anschaust, wirst du aber feststellen, dass die Kühe wieder älter werden. Das ist ja alleine schon aus Kostengründen ein wichtiges Interesse der Milchviehhalter. Die Aufzucht einer nachrückenden Färse kostet 2 bis 3 mal so viel, wie die abgehende Schlachtkuh einbringt.
Und es gibt seit jeher spezialisierte Lebensleistungs-Zuchbetriebe. Einige davon sind in der EUNA zusammengeschlossen, wo sich aktuell einiges tut. Österreich will deren Arbeit zukünftig stärker fördern und auch in D will die EUNA einen eigenen Zuchtverband gründen, um neue Bewertungskriterien für die Zucht einführen zu können, die Lebensleistung und Gesundheit stärker gewichten.

Hier war früher nichts perfekt. Von unserem Hof und etwas Nebenerwerb und Rente haben 3 Generationen gelebt, aber in (relativ zu den Nachbarn gesehen) bitterer Armut bei einem Mehrfachen an Arbeitszeit. Und den Rindern hier auf dem Hof ging es deutlich schlechter als vielen in den modernen Ställen heute. Wir hatten am Ende knapp 50 Stück Vieh in Anbindehaltung in einem völlig überbelegten Stall. Jeden Winter sind in der schwülen Feuchtigkeit Kälber an Erkältungskrankheiten zugrunde gegangen. Geschwollene Gelenke, kranke Klauen, einwachsende Ketten, Schläge... Geschrei der überforderten Menschen.
Ich bin froh, dass diese Zeiten vorbei sind.
Natürlich gab es auch damals Betriebe, wo es wirtschaftlich und für die Tiere viel besser lief. Aus meiner Sicht haben sich aber die Bedingungen für Rinder und Schweine in den letzten Jahrzehnten ständig verbessert. Beim Geflügel war es lange Zeit eher umgekehrt, als es aus den Gärten und von den Höfen in die Ställe umsiedeln musste. Durch den zunehmenden Boom der Geflügel-Weidehaltung mit mobilen Ställen und -Schutzdächern, den wir seit einigen Jahren erleben, ist aber auch hier Besserung absehbar.

Als ich das Thema eröffnet habe, wollte ich nur schnell den verlinkten Beitrag festhalten und mehr dazu schreiben.
Ich versuche ja, eine Fleischrinderhaltung in Richtung Holistic Planned Grazing zu entwickeln.
Das bisher schlüssigste, was ich in Sachen nachhaltiger oder besser Regenerativer Landwirtschaft gefunden haben.
Und dazu gehört nunmal zwingend, dass die Sache auch wirtschaftlich und sozial funktioniert.
Wenn es sich nicht wenigstens so rentiert, dass man in der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung mitschwimmen kann und man nicht die nötige soziale Anerkennung und Einbeziehung von seinen Mitmenschen erhält, dann wird der jeweilige Betrieb auf längere Frist zwangsläufig scheitern. Idealismus in allen Ehren, aber er taugt nicht als alleinige Basis für eine zukunftsfähige Landwirtschaft.

Die Ausgleichszahlungen waren und sind zumeist gut gemeint, haben aber zu schweren Verwerfungen geführt und tun das immer mehr.
Auch vieles in der 2. Säule, in die so munter mit vorgeblich guter Absicht umgeschichtet wird, richtet viel mehr Schaden als Nutzen an.
Wäre man diesen Weg nicht gegangen, hätten wir heute evtl. eine Landwirtschaft ähnlich wie in den USA oder regional wie in Neuseeland,
auf zumeist größeren, arrondierten Flächen. Diese würden bessere Voraussetzungen für die Umstellung hin zur regenerativen Landwirtschaft bieten, die wir so oder so auf die lange Sicht zwangsläufig sehen werden.
Ob die Ausgleichszahlungen abgeschafft oder umgeschichtet oder sonst was werden: Die wirtschaftliche Perspektive unseres Staatshaushalts schaut nicht gut aus. Selbst wenn diese Zahlungen weiterlaufen, werden werden sie durch die massive Geldmengenausweitung weginflationiert.
Wir Bauern müssen uns also so oder so Gedanken machen, wie wir langfristig ohne diese Mittel auskommen wollen.
Und da können wir einiges von den internationalen Kollegen lernen, die bereits unter solchen Bedingungen wirtschaften, wenngleich mit ungleich geringeren Bürokratie- und Infrastrukturkosten als bei uns.


alpenblümchen
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Re: Wie finde ich die passenden Rinder für meinen Betrieb?

Beitrag von alpenblümchen »

@Angler
Schon seit Jahrzehnten verbreiten die System-Medien viel Unsinn über die Landwirtschaft. Was die sogenannte Überproduktion betrifft. Es ist eine relativ kleine Menge die entscheidet ob ein Markt mit zuviel oder zuwenig mit einem Produkt versorgt wird. Weil vor drei Jahren Butter weltweit sehr gefragt war, gab es hier in Frankreich in den Läden oft keine Butter zu kaufen. Die Molkereien versuchten bei den Supermärkten bessere Preise durchzusetzen. Diese weigerten sich. Somit verkauften die Molkereien die Butter in Ausland.


Manfred
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Re: Wie finde ich die passenden Rinder für meinen Betrieb?

Beitrag von Manfred »

Und bei den Milchstreiks hier, vor ein paar Jahren, haben sich die Molkereien am Spotmarkt in Osteuropa eingedeckt.

Und international sollte man den Hunger nicht vergessen. Wir tun uns halt leicht, den Ärmsten die Lebensmittel wegzukaufen.
Die Welthungerhilfe geht davon aus, dass alleine durch die Corona-Lockdownmaßnahmen und die damit verbundenen Einkommensverluste die Zahl der an Unterernährung leidenden Menschen um ca. 20 % zugenommen hat. Das wäre eine Steigerung von ca. 690 Millionen Unterernährten Stand 2019 auf ca. 830 Millionen heute. Da ist mal eben die eineinhalbfache Bevölkerung Deutschlands in die Hungersnot gerutscht, weil das Essen ein paar Cent zu teuer ist.

Jetzt ist unser politischer und wirtschaftliche Einfluss begrenzt und viele Hungerprobleme sind in den jeweiligen Ländern ganz oder teilweise hausgemacht. Aber einfach ignorieren kann ich das auch nicht. Ebensowenig, dass Produktion, die hier verdrängt wird, an anderer Stelle mehr erzeugt werden muss. Hier Flächen stillzulegen und dafür die artenreichsten Regenwälder der Erde mit WWF-Siegel zu roden oder den borealen Wald in Russland im Großkahlschlagverfahren mit FSC-Zertifikat platt zu machen, ist nicht ganz so öko, wie sich mancher gerne einredet.

Für bestmögliche Lösungen in derart komplexen Spannungsfeldern wurde das Holistic Management entwickelt. Es soll all diese Überlegungen einbeziehen, statt einzelproblemfixierte Entscheidungen zu treffen, wie es aktuell passiert, die dann über ihre unüberlegten Nebenwirkungen das 3-fache an Schaden produzieren...


Manfred
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Re: Wie finde ich die passenden Rinder für meinen Betrieb?

Beitrag von Manfred »

Diese Nische gibt es zweifellos.
Aber sie ist nicht für jeden.
Ein großer Teil der Direktvermarkter schafft es nicht, im Betriebszweig Direktvermarktung eine angemessene Entlohnung ihrer Arbeitszeit zu erzielen. Deshalb geben viele wieder auf.
Auch hier würde natürlich ein massiver Bürokratieabbau helfen.
Wenn ich die Bilder von den Kollegen aus Nordamerika sehe, die jetzt teilweise bei Frost ihre Weideschlachtungen durchführen und die Tiere gleich an Ort und Stelle grob zerlegen. In D undenkbar...
Ich bin inzwischen so weit, dass ich sage, ausnahmslos alle lebensmittelrechtlichen Vorschriften sollten für Direktvermarkter und das kleine Lebensmittelhandwerk mit Direktverkauf freiwillig werden.
Ein Schild an die Ladentür oder die Hofeinfahrt: "Dieser Lebensmittelbetrieb wird nicht staatlich kontrolliert" und dann kann jeder Kunde selbst entscheiden, ob er dort kaufen will oder nicht.
Selbstverständlich könnte sich jeder, der das möchte, weiter kontrollieren und zertifizieren lassen, auf freiwilliger Basis, wenn er darin einen Vorteil für seine Vermarktung sieht.


Manfred
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Re: Wie finde ich die passenden Rinder für meinen Betrieb?

Beitrag von Manfred »

Angler hat geschrieben: 02.01.2021, 10:46 muß ich dir widersprechen - Weideschlachtungen in D sind möglich,
zumindest das Töten der Tiere (mit Sondergenehmigung und Auflagen).
Ich habe nichts anderes behauptet und war auch selbst einige Jahre Mitglied beim Uria e.V.
Aber alleine die Schlachtbox von Uria kostet je nach Ausstattung zwischen 16.000 und 30.000 Euro netto (habe aktuelle Angebote vorliegen) und dann brauchst du eine EU-zertifizierte Schlachtstätte in der Nähe, die das Spiel mitmacht, um die Vorgaben für die Transportzeiten einzuhalten + den Fachkundekurs oder eine Person, die diesen hat + einen Tierarzt, der die die Lebendbeschau auf der Weide macht...
Brauchen die alles nicht. Je nach Bundesstaat evtl. einen nach vereinfachter Abnahme geneigten Schlachtraum für die Verarbeitung.


Manfred
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Re: Wie finde ich die passenden Rinder für meinen Betrieb?

Beitrag von Manfred »





Manfred
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Re: Wie finde ich die passenden Rinder für meinen Betrieb?

Beitrag von Manfred »

Angler hat geschrieben: 02.01.2021, 12:03 AMERIKA - wir leben in DEUTSCHLAND
So schön können wir es aber auch haben, wenn wir es irgendwann schaffen, uns mit unseren Interessen politisch durchzusetzen.
Bis dahin müssen wir natürlich irgendwie mit den bestehenden Auflagen zurecht kommen oder die Segel streichen.
Bei euch scheint sich ja auch kein Nachfolger gefunden zu haben?


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