Zum Nachdenken: Unterversorgung durch Überversorgung

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Silke
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Registriert: 08.03.2005, 19:33

Zum Nachdenken: Unterversorgung durch Überversorgung

Beitrag von Silke »

Hallo alle Miteinander,

bei der täglichen google-Suche nach Antworten auf meine Fragen bin ich durch Zufall (Suche: Calziummangel, Kaliummangel Wiederkäuer) auf das Thema Milchfieber bei Mutterkühen gestoßen und möchte dieses hier einmal vorstellen (sind ja doch viele Hobbyhalter unter uns).
Es wird ja oft diskutiert, welche Mineralfutter man als Zusatz geben könne, wenn die Ziege den ein oder anderen Mangel aufweist.

Ist man aber nicht genauestens über die zahlreichen Stoffwechselzusammenhänge informiert, so kann eine gut gemeinte Zufütterung ins genau Gegenteil umschlagen und den Mangel verstärken, den man eigentlich beheben wollte, weil es an ganz anderer Stelle wirkt!

Ein einfaches und anschauliches Beispiel hierfür ist eben das "Milchfieber" oder auch "Gebärparese" bei Mutterkühen:
Zu Beginn der Laktationsperiode, mit der Geburt, steigt der Calziumbedarf des Körpers sprunghaft um fast das Zehnfache des üblichen Wertes an, bedingt durch die Bildung von Kolostrum.

Der Tierhalter weiß dieses und füttert gut gemeint schon einige Wochen vor dem errechneten Geburtstermin Calzium zu um der Kuh ein möglichst üppiges Depot zur Verfügung zu stellen.

Was passiert jedoch stattdessen?

Angesichts des üppigen Überangebotes scheidet die Kuh großzügig Calzium über den Harn wieder aus und "verlernt" sozusagen die aktiven körpereigenen Regulationsmechanismen des Calziumstoffwechsels von den Knochen ins Blut.

Die Regulierung der Calziumkonzentration im Blut erfolgt mit Hilfe von drei Hormonen: Parathormon, 1,25-Dihy-
droxyvitamin D (die aktive Form von Vitamin D) und Kalzitonin. Die Hauptfunktion von Parathormon und
1,25-Dihydroxyvitamin D besteht darin, die Kalziumkonzentration im Blut zu erhöhen, während Kalzitonin die Aufgabe hat, die Kalziumkonzentration im Blut zu senken.

Ein zweiter Faktor ist: zu viel Kalium. Den Kaliumanteil in Heu und Silage gering zu halten wird immer schwieriger weil Kalium in Massen in jeder Form von Dünger enthalten ist, in Gülle wie auch in Kunstdünger (In der Physik kalibrieren wir inszwischen unserer radioaktiven Messanlagen mit einer Packung Kunstdünger! Der Kalium-40-Zerfall eignet sich hervorragend dafür...und man kann die Zählrate anhand der Herstellerangaben im Voraus ganz prima berechnen...)
Kalium-Ionen sind positiv geladen und führen (wie auch Natrium, Magnesium, Calzium) zu einer basischen Stoffwechsellage (Alkalose).
Hingegen führen Rationen mit einem Anionenüberschuss zu einer Ansäuerung des Stoffwechsels (metabolische Azidose).
Diese Azidose stärkt die Aktivität des Parathormons und begünstigt so die körpereigene Calziummobilisierung aus
den Knochen.

Wie beugt man also dem Calziummangel in den ersten 48h nach der Geburt vor? Durch frühzeitige Calziumgaben? Nein!
Durch Vitamin D und sehr calziumARME (um frühzeitig die körpereigene Calziummobilisierung aus den Knochen zu "trainieren") und kaliumarme Ernährung. Außerdem viel diskutiert ist die Gabe sog. saurer Salze um die leichte metabolische Azidose zu erzeugen.
Erst unmittelbar NACH der Geburt wird vermehrt Calzium zur Verfügung gestellt.

Wie sähe so ein Milchfieberfall aus?
In der ersten Stunde zeigen die Tiere nur unscheinbare Symptome, weshalb diese häufig nicht erkannt werden.
Die Tiere zeigen Überempfindlichkeit, Unruhe, erhöhte Herzfrequenz und verminderte Fresslust.
Wenige Stunden nach der ersten Phase tritt eine akute Schwäche der Skelettmuskulatur auf mit Schwanken, Taumeln und zum Teil plötzlichem Niederstürzen mit nachfolgendem Festliegen. In dieser Phase verharren die Tiere in Brustlage meist mit auf der Flanke aufliegendem Kopf.
Die Körpertemperatur ist vermindert, die Körperoberfläche fühlt sich kühl an.
Die Pansen- und Darmmotorik ist stark vermindert (Calzium ist maßgeblich an jeglichem Muskelstoffwechsel beteiligt), und es kommt zu Pansenblähung.
Der Herzschlag ist schwach und beschleunigt (s.o.).
In der dritten und letzten Phase, die in der Regel nach rund 12 Stunden auftritt, liegen die Tiere in Seitenlage fest, es kommt zu einem zunehmenden Verlust des Bewusstseins bis hin zum Koma.
Der Pansen ist hochgradig gebläht, der Puls stark beschleunigt und kaum mehr spürbar. Innerhalb weniger Stunden kann
der Tod eintreten.

Hätten wir so einen Fall im Stall, dann würden wir in höchster Not das Forum und unsere Freunde aufsuchen und um Hilfe bitten.
Wir würden an vergiftung denken, weil es so plötzlich kommt, an Gebärmutterentzündung oder sonstwas.
Aber würde nur ein einziger dann ausgerechnet an Calziummangel denken?? Im Leben nicht, haben wir doch unsere Kuh so sorgsam und vorsorglich schon seit Monaten mit Calzium vollgepumpt bis zum Umfallen...im wahrsten Sinne des Wortes.

Nachdenkliche Grüße, Silke


"Wahre Worte sind nicht angenehm, angenehme Worte sind nicht wahr."

Laotse; Dao-de-dsching - Kapitel 81
Helmut
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Re: Zum Nachdenken: Unterversorgung durch Überversorgung

Beitrag von Helmut »

Hallo Silke,

ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl in meine Richtung? ;-)

Lieben Gruß Tine


Silke
Beiträge: 309
Registriert: 08.03.2005, 19:33

Re: Zum Nachdenken: Unterversorgung durch Überversorgung

Beitrag von Silke »

Nein.
Mich beschäftigt gedanklich immer noch das Schicksal von Nicola und auch Locura.
Hast aber Recht, jetzt wo Du's sagst, Dein Fall war ja auch rätselhaft und es gab keine wirkliche Erklärung dafür außer einer Beerdigung und 8 Wochen bangen.
Ich lese mich seitdem einfach vermehrt ein und versuche, etwas mehr davon zu verstehen. Konnte mir Biochemie immer schlecht merken, auch wenn ich eine Uniprüfung darüber ablegen musste.

Was mich daran so schockiert ist, dass diese Dinge vermeintlich so unscheinbar und unwichtig sind, so subtil wirken und doch mit "so einer Bombe" durchschalgen.
Das ist zur Zeit meine Triebfeder.


LG, Silke


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Laotse; Dao-de-dsching - Kapitel 81
Helmut
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Re: Zum Nachdenken: Unterversorgung durch Überversorgung

Beitrag von Helmut »

Silke,

in unserem Fall haben wir eine Erklärung bekommen,

immer wieder haben wir nachgefragt, ob nicht auch eine Vergiftung die ursache dieses schweren Leberschadens hätte sein können.

Man hat es stets verneint,

noch beim Abschlußgespräch hat man uns unmißverständlich gesagt, dass ein akuter Kupfer- selenmangel dieses furchtbare

Disaster ausgelöst hat.

Wenn ich mal sehr viel zeit habe, dann werde ich euch diesen Bericht ins Forum stellen.

Was nicola und locura angeht,

da gebe ich dir Recht,

es ist schlimm, wenn die Ursache einer Erkrankung nicht gefunden wird, man ist dann so hilflos.

Lieben gruß Tine


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