Vergiftungen von Pferden durch Gräsergifte
... auch in Deutschland ein Thema
Gräsergifte – ein altes Thema
Seit Ende der 1970er Jahre ist bekannt, warum unsere wichtigsten Wirtschaftsgräser weltweit, also das Deutsche Weidelgras (Lolium perenne) und der ebenfalls heimische Rohrschwingel (Festuca arundinacea), für Weidetiere extrem giftig werden können. Die Ursache der rein natürlichen giftigen Wirkstoffe ist eine Infektion mit einem Pilzpartner (Symbiont). Die Wirkstoffe sind wichtig für die Widerstandskraft (Resistenz) der Gräser zum Beispiel gegen Überweidung, Parasiten oder Dürre.
Endophyten können völlig harmlos sein. Entscheidend ist vielmehr, ob eine Selektion auf widerstandsfähige Gräser mit besonderen Eigenschaften stattgefunden hat (Müller & Krauss 2005), unbeabsichtigt durch rücksichtslose Überweidung oder durch gezielte züchterische Selektion. Endophyten, die Gifte bilden können, tun dies nur zu bestimmten Zeiten, insbesondere wenn ihr Wirtsgras unter Stress (u.a. Fraß, Dürre, Nährstoffmangel) leidet. Beweidung steigert nachweislich den Infektionsgrad von Gräsern mit giftigen Endophyten (Dahl Jensen & Roulund 2004, McCluskey et al. 1999). Das Ökosystem Graslandschaft zwingt so die großen Herden zur Abwanderung und Schonung ihrer Futtergrundlage (Ball et al. 1991, Vanselow 2010). Zäune sind in der Natur nicht vorgesehen.
Die Gifte stellen eine natürliche Form der Geburtenkontrolle und der Kontrolle der Herdengrößen dar (Putnam et al. 1991, Vanselow 2011 a). Zudem sind große Raubtiere als natürliche Gesundheitspolizei dafür zuständig, dass alle kranken Tiere herausgefangen und an der Fortpflanzung gehindert werden.
Pflanzliche Halbparasiten wie der Klappertopf (Rhinanthus) können dagegen den Infektionsgrad mit gefährlichen Endophyten zurückdrängen (Cheplick & Faeth 2009). Sie stellen somit in artenreichen, naturnahen Weidelandschaften einen Schutz der Futtergrundlage vor giftigen Gräsern dar. Klappertöpfe klauen ihren Wirtsgräsern über das Wurzelwerk Wasser, Nährstoffe, Assimilate und die wertvollen Wirkstoffe gegen Stress. Man findet in ihnen andere Wirkstoffe als in den Gräsern, sie gelten als wenig giftig. Klappertopf wird weder frisch noch im Heu gefressen.
Endophyten der Pilzgattung Neotyphodium bilden ein reiches Sortiment unterschiedlichster, dem Mutterkorngift verwandter Substanzen, das je nach Stresssituation äußerst variabel ist. Je nach Witterung, Nutzung und Pflege kann also ein und dieselbe Futtergrasfläche ein hochwertiges Futter geben oder aber unterschiedliche schwere Vergiftungen verursachen. Dabei treten die qualitativen Veränderungen der Gräser innerhalb von kurzer Zeit (Wochen, selten innerhalb von Tagen) ein (Kallenbach et al. 2003). Dieser variable Cocktail führt zu sehr unterschiedlichen Symptomen, deren Ursache zumeist nicht erkannt wird.
Bisher unterscheidet man vor allem folgende Vergiftungen:
Mutterkornvergiftung („Antoniusfeuer“) -u.a. durch das Endophytengift Ergovalin (Weidelgräser, Schwingel)
Weidegras-Taumelkrankheit (ryegrass staggers) - durch Lolitrem B (Weidelgräser)
Equines Schwingelödem - durch Lolin (Schwingel und Weidelgräser)
Leberschäden - durch ungesättigte Pyrrolizidinalkaloide (Schwingel, Weidelgräser)
Bei Weidetieren denkt Reinholz hier an Rinder. Da bereits Lolitrem B- Konzentrationen von 200 ppb die Milchleistung der Kuh um 12% verringern (Reed 1999 b), ist die Schlussfolgerung von Reinholz berechtigt.
Wie wirkungsvoll Endophyten ihre Gräser gegen Fraßfeinde verteidigen können, demonstriert anschaulich die neueste Züchtung für den Einsatz auf internationalen Flughäfen: AvanexTM aus Rohrschwingel oder Deutschem Weidelgras konnte im Vergleich zu Gräsern, die mit Endophyten im Wildtyp infiziert waren, im Mittel über 12 Monate die Vogelzahl um 87% reduzieren, die oberirdische Anzahl an Insekten um 69 % und unterirdisch sogar um 88% reduzieren.
Dr. rer. nat. Renate Vanselow, Diplom-Biologin
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